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von tangojoe » 4. Jul 2010, 17:30
4. Juli 2010,
NZZ am Sonntag
Sehnsucht nach Spielkultur
Hakan Yakin steht in der Schweiz für Spielwitz.
Hakan Yakin weiss nicht so recht. Er tut sich oft schwer mit Entscheidungen – häufig sind sie falsch, und er muss sie wieder zurücknehmen. Und deshalb schlägt nun wieder die Stunde seiner Einflüsterer, der Berater, Freunde und Ratgeber. Am Freitag fuhr Yakin in die Ferien ans Meer; acht oder zwölf Tage sollen es sein, ganz genau kann er das noch nicht sagen. Sicher ist, dass er sich den Kopf zerbrechen wird. Hakan Yakin ist 33 Jahre alt, und eine seiner grossen Zukunftsfragen ist, ob er nun aus der Schweizer Nationalmannschaft zurücktreten soll.
Gründe gäbe es genug. Sein Arbeitgeber, der FC Luzern, spielt in der nächsten Saison erstmals seit ewigen Zeiten wieder international. Darauf könnte sich Yakin konzentrieren. Er könnte sich auch die Sinnfrage stellen und sagen, er habe es satt, sich im Nationalteam mit der Rolle des Jokers zu begnügen. Er habe genug davon, sich dauernd seine ungenügende Fitness vorhalten zu lassen. «Aber 100 Länderspiele wären halt schon eine schöne Sache», raunt ihm sein Umfeld zu. 83 hat Yakin schon. Die Entscheidungsfindung muss schnell gehen. Schon in diesem Sommer gibt der Trainer Ottmar Hitzfeld das nächste Aufgebot bekannt.
Ein Zeichen des Vertrauens von Hitzfeld würde Yakin die Denkarbeit erleichtern. Denn für Yakin ist klar, dass er auch in der Nationalmannschaft einen Stammplatz beanspruchen möchte. Selbstlos und anpasserisch ist er nicht. Das sind Fussballer wie er fast nie. Er kann seine Ansprüche höchstens temporär etwas zurücknehmen, aber nie für lange Zeit.
Yakin ist nicht der einzige, der sich über seine Zukunft im Nationalteam Gedanken macht. Die meisten Medien haben zwar aufgehört, ihn in die Stammmannschaft zu schreiben. Aber auf Yakin werden immer auch öffentliche, oft irrationale Sehnsüchte projiziert. Vielleicht kann er sie mit zunehmendem Alter schlechter erfüllen als früher, aber er ist in der Schweiz schon lange der einzige Spieler, der so begabte Füsse und so fotografische Augen hat, die ein Spiel lesen können wie andere Menschen ein Buch. Yakin hat schon immer das öffentliche Bedürfnis nach dem schönen Spiel, nach etwas Esprit in sich getragen. Das ist eine romantische, aber einsame Aufgabe.
Doch jetzt ist dieses Verlangen noch grösser geworden, weil an der WM sichtbar geworden ist, dass die Schweizer Fussballer in einem defensiv geprägten Konservativismus festgefahren sind. Das Wort «Genialität» verwendet der Nationalcoach Hitzfeld im Zusammenhang mit den Schweizer Fussballern eigentlich nie. Bei Yakin hat er es im Vorfeld der Weltmeisterschaft getan. Das ist eine Form von Wertschätzung, aber sie bedeutet nicht, dass Hitzfeld auf Yakin setzt.
Genialität ist unberechenbar und flüchtig. Sich auf sie zu verlassen, ist ein Risiko, das nur schwer zu kontrollieren ist. Jemanden wie Hakan Yakin starkzumachen, hiesse auch, einer anderen Spielidee zu vertrauen, die vielleicht nicht die gleich guten Ergebnisse zeitigt wie das Modell, das die Schweizer Fussballer an die Weltmeisterschaft gebracht hat. Und die Frage ist, ob eine derart veränderte Philosophie in der Schweiz überhaupt nachhaltig sein kann und wie lange es in der Praxis dauern würde, sie umzusetzen.
Denn die Sehnsucht nach Hakan Yakin ist eine Stellvertreter-Diskussion. Er könnte die Hoffnungen höchstens noch in der Euro-Kampagne 2012 schultern. Aber vermutlich nicht einmal das. Hitzfeld wird linientreu bleiben, und mit jedem Monat, der vergeht, wird die Argumentation stichhaltiger, weil Yakins Beine nicht schneller werden. Aber auch wenn Yakin nun zurücktreten sollte: Die Diskussionen über einen offensiv ausgerichteten zentralen Mittelfeldspieler werden nicht sterben. Ist Yakin weg, wird man in der Schweiz vermutlich einen Phantomschmerz spüren. Wer ihn lindern kann, ist ungewiss, weil sich Spieler wie Hakan Yakin nicht einfach züchten lassen, weil man Intuition nicht verschreiben kann. Und vielleicht ist nicht einmal sicher, dass es solche Fussballer überhaupt braucht, weil klassische Spielgestalter so schrecklich unmodern geworden sind. Aber die Sehnsucht nach Spielkultur ist zeitlos.