Schalker jung hat geschrieben:Habe ich das richtig gelesen, dass die U21 1:5 in Solothurg gegen den Spitzenreiter gewonnen hat? Jossen wie war das Spiel?
Gute Frage! Hier mein Matchbericht:
Verspäteter Rückrundenauftakt für die LU21 bei Solothurn. Wie man hört wurde das Spiel zwischen Luzern und Goldau wegen einem Trainingslager verschoben. Fakt ist: Das Spiel hätte während der Fasnacht stattgefunden und bei Goldau ist Marini Spielertrainer. Alles Weitere wären Spekulationen.
Luzern steht in der Tabelle mittlerweile unter dem Strich, der FC Solothurn seinerseits ist der aktuelle Leader. Ich bin zu früh da. Irgendwie fühlt es sich für mich nicht richtig an, nicht entweder vor oder nach dem Spiel noch etwas Zeit in oder bei einem Stadion zu verbringen. Es regnet. Die Frau an der Kasse fragt mich, ob ich denn bei diesem Wetter nicht lieber ein Ticket für die Tribüne haben möchte. Ich entgegne ihr, dass es ja Fussball sei. Da wird wegen ein bisschen Regen nicht gejammert. Ich gebe ihr die 11 Franken, schnappe mir ein Matchprogramm und bin ohne Kontrolle im Stadion. Einzig mein Ticket wird einen Meter neben dem Kassenhäuschen angerissen.
Vierzig Minuten vor Anpfiff ist noch nicht viel los im Stadion. Unter der Tribüne, direkt am Spielfeldrand befindet sich ein kombinierter Grill- und Bierstand. Ganz eingerichtet sind sie noch nicht, weshalb das mit meinem Bier etwas dauert, obwohl ich wahrscheinlich der einzige mit einer Bestellung bin. "4 Franke bitte" - ich gebe fünf und bedanke mich. Mit meinem Bier schlendere ich hinter der Tribüne auf die andere Seite des Stadions. Die letzten Male in Solothurn stand ich auch schon da. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und so hat auch der Fussballfan seinen gewohnten Platz im Stadion.
Das Tribünendach schützt mich vor dem Regen. Die Spieler laufen sich bereits ein und aus den Boxen dröhnen irgendwelche Hits, die aber dennoch irgendwie passend sind und eine Vorfreude aufkommen lassen. Es regnet noch immer. Mittlerweile ist ein älterer Herr mit Klappstuhl neben mir stehen geblieben. Er hat sicherlich schon die siebzig erreicht - eher achtzig. Wahrscheinlich hätte er seinen Stuhl bei besserem Wetter woanders, an seinem üblichen Platz, aufgeklappt. Mit der Zeit drängt sich eine Hand voll Leute unter diesen Vorstand, obwohl die Sicht auf einen Viertel des Spielfeldes vom Unterschlupf bei der Luzerner Trainerbank verdeckt wird. Dem alten Mann scheint dies nicht zu passen. Vor dem Anpfiff verschwindet er und sucht sich einen besseren Platz. Kurz vor Spielbeginn kommt es auch zu Bewegung auf der Gegentribüne. Ich hatte in Erinnerung, dass die Tribüne ganz bestuhlt war. An den beiden Enden der Tribüne sind diese aber wohl entfernt worden. In der einen Ecke kleiden einige supportwillige die vorhandenen oder selbst erstellten Zäune mit ihren Bannern ein und stellen einen grossen Schirm mit dem Aufdruck des Bierlieferanten auf.
Die beiden Mannschaften betreten das Spielfeld und die Vereinshymne ertönt. Sie ist nicht schön und schon gar kein musikalisches Meisterwerk. Das sind gute Vereinshymnen in der Regel nie. Aber sie passt. Auf der ungedeckten Gegentribüne beginnt das Trommeln und das Singen. Bereits nach zwei Minuten die erste Aufregung: Nach einer missratenen Ecke von Luzern pfeift der Schiedsrichter Elfmeter für Luzern. Aus der Distanz betrachtet stellte sich der Verteidiger einfach saublöd an. Wolf verwandelt zum 0:1. In der Folge wurde klar, weshalb Solothurn in der Tabelle so gut dasteht. Wenn es nach vorne geht, dann schnell. Einige Situationen, vor allem im Strafraum möchte man sich als Fan der Soletta wahrscheinlich nochmals ansehen. Manch einer wünscht sich wohl auch den VAR herbei. Die Forderung nach Gerechtigkeit kann ich verstehen, nicht aber was man damit im Begriff ist aufs Spiel zu setzen. Tatsächlich grobe Fehlentscheidungen hätte ich sowieso nicht ausgemacht. Und ausser einer kleinen Druckphase bringen die Solothurner auch nichts Gescheites zustande. Im Gegenteil: viele Fehlpässe bringen die LU21 zu Angriffsmöglichkeiten. Derweil ist neben mir eine Frau mit Kinderwagen eingetroffen. Man kennt und begrüsst sich. Wahrscheinlich steht sie in irgendeinem Verhältnis zu einem Spieler. Vielleicht ist sie hier, um ihren Bruder oder Mann zu unterstützen. Aber das Glück ist an diesem Tag nicht auf der Seite der Solothurner. Marco Burch erzielt in der 41. Minute das 0:2 und schenkt mir die Möglichkeit vor dem Ansturm auf den Bierstand noch ein Bier zu sichern.
In der Pause werden die Matchballsponsoren verlesen. Ich mag mich erinnern, dass bei einem Spiel zwischen Solothurn und Grenchen, dem Lokalderby, die Zeit nicht ausreichte um alle zu verlesen und der letzte Sponsor oder Gönner erst nach Wiederanpfiff verlesen werden konnte. Der Speaker hofft, dass die anwesenden Fans die Sponsoren bei ihren Einkäufen berücksichtigen. Und irgendwie hat man das Gefühl, dass sie sich bei "Coiffeur Anita" oder anderen Patronaten dafür bedanken. Sponsoring in einem familiären Rahmen. Zudem kündigt er das Qualifikationsspiel für den Schweizer Cup an. Echallens sei der Gegner. Erinnerungen.
Mittlerweile regnet es nicht mehr so stark und die beiden Mannschaften scheinen motiviert und mit neuen Kräften aus der Kabine zu kommen. Denn in der 46. Minute erhöht der FCL - beziehungsweise der FCS mit einem Eigentor zum 0:3. Die FCL-Spieler feiern den Flankenschlager sichtlich ausgelassen, wenn auch wohl etwas überrascht. In der 47. Minute schiesst der FCL gleich das vermeintlich vierte Tor, welches aber wegen einer Offside-Position (von Wolf) nicht gegeben wurde. Der daraus resultierte Freistoss leitet einen Gegenstoss ein, welcher ebenfalls mit einem Abseits-Tor endet. In der Folge kommt der FC Solothurn zu weiteren Gelegenheiten, doch Jacot kratzt bei zwei Versuchen die Bälle entweder aus dem Kreuz oder anders spektakulär. Die Fans der Rot-Weissen singen derweil weiter ihre Lieder. Im Dauerregen unterstützen sie ihre Mannschaft mit kurvenbekannten Melodien in personalisierten Versionen und mit eigenen Schlachtrufen. Sie singen davon, dass Solothurn irgendwann international spielen wird. Selbstironisch und glücklich. Etwas dass man bei solchen Vereinen immer wieder sieht und was ich bei Fangruppierungen professioneller Vereine vermisse.
In der 73. erhöht Darian Males gar auf 4:0. Fast zeitgleich hört man aus der Heimkurve aufmunternde "Hopp Solothurn"-Schlachtrufe. Wie bei jedem Gegentreffer. Der zuvor gefoulte Chef Eric Tia steht wieder auf und humpelt auf einem Bein zur feiernden Luzerner Spieler-Traube. Ich muss lachen und rege mich auf, als er sich wieder hinlegt, nachdem sich die Besammlung wieder aufgelöst wird. Kurz danach wird er ausgewechselt. Leider hat sich der Fussball so entwickelt, dass man einen vermeintlich gefoulten Spieler als Simulanten bezichtigt und ein effektiv verletzter Spieler nicht die nötige Beachtung findet. Naja.
Im entfernten Tor hält Jacot später abermals glänzend. Neben mir begrüsst und verabschiedet sich ein Matchbesucher mit einem Lachen im Gesicht von einem anderen Anhänger mit "Höt esch nüd gsi, hä?" - "Nei, höt esch ned nüd gsi! Höt esch gar nüd gsi!". Beide lachen und wünschen sich noch ein schönes Wochenende. Da ist er wieder, dieser zynische Ton. Es sind diese kleinen Geschichten, die mich beim Erlebnis Fussball glücklich machen.
Das Spiel bietet den Rahmen für diese Geschichten und es läuft beständig weiter. Man hört die Spieler und Trainer. Bei Profi-Vereinen gehen diese Diskussionen in der allgemeinen Geräuschkulisse unter. Da wird beispielsweise Luzern-Trainer Dal Santo von einem Solothurner auf der Tribüne lauthals nachgeäfft. Seinen Kollegen auf der Tribüne gefällt das. Es steht 0:4 - sie lachen. Der Speaker gibt die Zuschauerzahl bekannt: 300 sollen es sein. In meiner Ecke dreht man sich ungläubig um und lacht sich gegenseitig zu. Hinter Jacot läuft ein Mann mit einem Hund an der Leine in Richtung Supporter-Block. Keine Ahnung wie die beiden in der Zuschauerstatistik gewertet werden. Aber eines ist klar: Hier fragt sich keiner, wie man eine Kette ins Stadion bringt. Der Kinderwagen, der Hund oder die vielen Regenschirme mussten nicht reingeschmuggelt werden. Aber hier muss auch nichts dergleichen gemacht werden, weil die Vereine nicht von irgendwelchen mafiösen Verbänden und Fernsehanstalten fremdbestimmt werden. Die Spiele dieser Runde wurden allesamt am Samstag zwischen 16 Uhr und 18 Uhr ausgetragen. Bundesliga gibts dann in der Sportschau.
Das Spiel neigt sich dem Ende zu. Die 30-40 aktiven auf der Gegentribüne singen, wohl auch dank der Nähe zum Bierstand, noch inbrünstiger als zu Beginn und werden in der 89. Minute mit dem 1:4 belohnt. Das Tor hat zwar keine Bedeutung und dennoch mag ich es ihnen gönnen. Ich verstehe die Leute nicht, welche solche kleinen Kurven belächeln. Sie haben meinen grössten Respekt, denn sie haben etwas Eigenes geschaffen. Es sind eventuell nicht viele, aber während grössere Kurven ihre Aufgaben aufteilen können, bleibt es bei solchen Gruppen familiärer. Jeder einzelne ist wichtig.
Zurück zum Spiel: Ist da noch etwas möglich? Ja, es ist Fussball - aber nur ganz selten kommt es zu diesem einen Moment. Zumindest an diesem Tag ist keiner dieser seltenen Momente: Emini sorgt mit seinem 1:5 schlussendlich für den Schlusspunkt. Wie selbstverständlich reagieren die Soletta-Anhänger mit einem "Hopp Solothurn". Dann pfeift der Schiedsrichter das Spiel ab. Nur ein paar Sekunden später wird es dunkel - die Flutlichtanlage hat für diesen Tag ihre Aufgabe erfüllt. Dem Verantwortlichen ist es für heute wohl auch verleidet. Ich mache mich auch wieder auf den Heimweg. Ausserhalb des Stadions vernehme ich nochmals aufmunternde "Hopp Solothurn"-Schlachtrufe. Vor mir läuft der alte Mann mit dem Klappstuhl. Ich weiss weder wie er das Spiel wahrgenommen hat, noch wie er zum Fussball gekommen ist und auch nicht wie er den heutigen Fussball so findet. Aber ich weiss, dass er wiederkommen wird - wenn er denn kann. Sie alle werden wiederkommen. Ich auch. Ich überhole ihn. An der Bahnstation fühlt es sich an, als wolle meinen Gedanken eine unsichtbare Kraft in die Fresse schlagen. Die Haltestelle heisst Allmend. Vom gegenüberliegenden Gleis höre ich „Souhong“. Sie meinen nicht mich, sondern den Schiedsrichter. Der eine fahre schwarz. Eine Diskussion, welche nicht selten in meinem Kollegenkreis geführt wird. Meine Gedanken schweiffen wieder ab zu Fussball, wie sie es oft tun. Ob Schwarzfahrer, Raser oder Pyrozünder. Für mich gibt es hierfür keine Regeln. Es sind schlicht und einfach Aktionen und mögliche Reaktionen. Wer die Reaktion auf seine Aktion in Kauf nehmen will, der soll das tun. Und ich bin auch bereit für Fussball und die getätigte Arbeit einen angemessenen Betrag zu bezahlen. Aber wenn ich mir die Preise gewisser Vereine und Tribüne nansehe, dann wurde für mich schon längst eine Grenze erreicht.
Auf meinem Smartphone fragt mich Google wie ich den Stadionbesuch fand und ich solle ihn doch mit einer Stern-Vergabe bewerten. Ich schieb die Nachricht weg, rege mich aber wieder über mich selber auf, weil ich diesen ausbeutenden Konzern indirekt unterstütze. Ich sinniere über die Entwicklung der Welt und des Fussballs. Es hat sich in den letzten Jahren einiges verändert und ich habe mir schon oftmals gesagt, dass ich dem kommerziellen Fussball und damit auch meinem Verein den Rücken zuwende. Noch sind es die Bekanntschaften und Erlebnisse rund um den Fussball noch Wert die Hürden die der professionelle Fussball mit sich bringt zu ertragen. Der Fussball hat mich einige Werte gelernt, wo ich mir nicht sicher wäre, ob sie ohne ihn eine solch hohe Bedeutung für mich hätten. Doch über all die Jahre ist eine grosse Gegenbewegung spürbar, welche auf diese Werte scheisst. Solange es aber noch Leute gibt, die bereit sind dagegen und für ihre eigene Meinung einzustehen, werde ich auch weiterhin an jedes Spiel fahren und Momente wie gegen YB dankend und mit Tränen in den Augen annehmen. Ich war am Mittwoch deswegen unendlich stolz und bin es noch immer, wie sich Luzern an diesem Tag präsentiert hat. Die Motzer und Hetzer werden es weiterhin versuchen einen Graben zwischen die Leute zu schaufeln. Sollen sie!
Obwohl meine persönliche Gewichtung zwischen erster Mannschaft und LU21 seit längerem in Richtung Amateurbereich kippt, werde ich auch heute das Stadion besuchen, welches mir zwar keine Heimat bietet und wo ich alle Auswüchse die der Kommerz mit sich bringt erdulden muss. Aber die Erlebnisse sind es noch immer Wert. Vielleicht ändert sich das schneller, als mir lieb ist, wenn der VAR das Spiel verdirbt oder das Good-Hosting-Konzept tatsächlich in Frage gestellt wird. Zum Glück gibt es noch Vereine wie Solothurn. Dort wird sich ein Stadionbesuch auch weiterhin lohnen. Und wer weiss, eventuell spielt dieser kleine Verein tatsächlich einmal international, wie es seine Fans besingen. Die erste Hürde hierzu wäre Echallens. Träumen darf man auch als Fan eines kleineren Vereins. Doch wenn auch nicht, kann man sich damit trösten, dass man nicht Teil der diabolischen Pläne der Verbände ist. Glaubt mir, das ist nicht einmal so schlecht.
Die nächste Hürde im Kampf gegen den Abstieg für die LU21 ist kommenden Dienstag auf der eigentlichen Allmend, dem Leichtathletikstadion. Marinis SC Goldau tritt im Nachholspiel um 20 Uhr an. Fuck, da wäre ja noch Champions League. A propos "fuck": Fickt euch doch!