Glücksritter, die am Abgrund tanzen
Weshalb Klubpräsidenten im Fussball fast nur verlieren
rwe. Was in aller Welt hat Heinz Fischer, YB-Präsident, sowie Fredy Bickel, YB-Geschäftsführer, bewogen, Verträge ohne die Zustimmung der Geldgeber abzuschliessen? «Grössenwahn, reiner Grössenwahn», behauptet Peter Jauch, Ankläger und Gegenspieler der beiden Beschuldigten, die mittlerweile zurückgetreten sind. Der Entscheid, ob in diesem Fall Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt wird, steht noch aus. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung. Dennoch: Wieder stehen Verantwortliche eines Fussballklubs in den Negativschlagzeilen. Damit werden Erinnerungen wach an andere Glücksritter, die sowohl sich wie auch den von ihnen geführten Verein ins Verderben stürzten. Christian Constantin, Helios Jermini oder Andreas Hafen sind Namen, die die Gefahren in dieser Branche signalisieren.
Ein Hauch von Glamour
Vermehrt rückt deshalb die Frage in den Mittelpunkt: Was treibt normale Menschen an, als Präsident eines Fussballklubs plötzlich Kopf und Kragen zu riskieren? Und vielleicht gar in kriminelle Gefilde abzudriften? Will man diesem Phänomen zu Leibe rücken, muss allerdings der relativierende Hinweis vorangestellt werden: Finanzielle Verfehlungen (und um solche geht es in der Regel) sind keine Erfindung von Sportklub-Funktionären. Doch zurück zu der Suche nach den Fallgruben, die Dirigenten zum Verhängnis werden können. Begonnen sei mit der nicht unwichtigen Frage: Wer bewirbt sich überhaupt für ein solches Amt? Jürg Schmid, Psychologe an der Universität Zürich, hat dazu eine klare Meinung. «Es sind Menschen, die ins Rampenlicht drängen. Als Präsident eines renommierten Fussballklubs zählt man zur Prominenz. Zu jenem exklusiven Kreis, den ein gewisser Hauch von Glamour umgibt.»
Ergänzend dazu ist aber auch festzuhalten, dass Präsidenten oft zu ihrem Job kommen wie die Jungfrau zum Kind. Mit anderen Worten: Sie haben kein Karrieremodell durchlaufen und in diesem Metier nicht von der Pike auf gedient. Ganz abgesehen davon, dass man den Beruf nicht lernen kann. Sie springen unbedarft ins Wasser - und landen in einem Haifischbecken. Sie bewegen sich fortan in einem Umfeld, in dem es von gerissenen Insidern, bösartigen Neidern und erbarmungslosen Abzockern (selbst im engsten Kreis) wimmelt. In dieser Branche geht es um ebenso rasch wie leicht verdientes Geld. Zwielichtige Figuren sind nicht fern. Die Crux am Ganzen: Weil der Neuling in der Regel vom Metier wenig Ahnung hat, ist er zu Beginn auf diese Einflüsterer angewiesen. In seiner Naivität will er zudem sofort beweisen, dass er der richtige Mann am rechten Ort ist. Eine Konstellation, die René C. Jäggi so beschreibt: «Anfänglich wollte ich Zirkusdirektor, Dompteur und Trapezkünstler in einem sein - und bezahlte dafür teures Lehrgeld.
Tatsächlich lauern viele Hinterhalte auf den Neuling. Einer könnte beispielsweise so aussehen: Trainer und Spielervermittler schwärmen von einem ausländischen Stürmer, und der neue Präsident ist nach dem Betrachten der Videobänder ebenfalls begeistert. Man trifft sich also mit der ausländischen Delegation in Kloten, und wäre da nicht der überrissene Preis von drei Millionen Franken, dem Transfer stünde nichts im Weg. Die Verhandlungen geraten ins Stocken, das Handy eines Beraters klingelt. Der Mann verlässt den Raum. Kurz darauf kehrt er zurück und sagt: «Sorry, der Deal ist geplatzt. Torino will den Spieler unbedingt und zahlt über drei Millionen.» Jetzt gibt es für den ehrgeizigen Präsidenten kein Halten mehr. Er erinnert sich an den Satz, dass Fortschritt auch stets ein Risiko enthalte - und er unterschreibt den Kontrakt. Später zeigt sich, dass der Stürmer das Geld nicht wert ist, und der Vorsitzende erfährt, dass zwei der drei Millionen Franken in die Taschen der in Kloten Anwesenden (inklusive seiner eigenen Mitarbeiter) geflossen sind.
Selbst wenn ein Dirigent Vorsicht walten lässt und genaue Vorstellungen von den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln hat, ist es mitunter schwierig, den Prinzipien nachzuleben. Als vor Jahren der FC Luzern unter dem neuen Chef Albert Koller saniert und ein Modell mit vier Lohnklassen zwischen 70 000 und 200 000 Franken eingeführt wurde, schien dies vernünftig. Es war eine Möglichkeit, den Verein im finanziellen Gleichgewicht zu halten. Doch dann bot sich die Gelegenheit, Kubilay Türkyilmaz zu verpflichten. Dem Internationalen wurde das System der Lohnklassen erklärt, worauf er die Frage stellte: «Und wo ist hier die Kubi-Klasse?» Koller, der den genialen Stürmer zum Erreichen der Finalrunde unbedingt brauchte, war klar, dass mit dem kurzen Satz von Türkyilmaz seine gesamten Sparbemühungen und Prinzipien über Bord fielen. Es war - wie das Beispiel aus Kloten - einer jener Momente, die für die Zukunft des Präsidenten wie des Klubs wegweisend sind.
Um auf die Aussage des Psychologen zurückzukommen: Personen, die das gleissende Bühnenlicht suchen, wollen mit grossen Gesten auffallen. In dieser Rolle überschreiten sie meistens Grenzen. Das Leid jedoch ist: Im Fussball gibt es nur einen Sieger, aber sehr viele Verlierer. Ganz anders in der Wirtschaft. Jedes Unternehmen mit aussergewöhnlichen Produkten rentiert und wird als erfolgreich etikettiert. Nicht im Fussball. Hier heisst die Devise: «The winner takes it all.» Lediglich ein Team wird Meister und kann an der Champions League teilzunehmen. Für den Rest bleiben Brosamen. Eine brutale Wahrheit. Eine weitere Wahrheit - die vielleicht erschreckendste - ist: Das Fussballgeschäft ist grundsätzlich defizitär. Doch welcher Ehrgeizling will dieses traumatische Faktum schon wahrhaben?
Negierung des Möglichen
Viele Newcomer sind ohnehin davon überzeugt, das Rad neu erfinden zu können. Sie handeln (vor allem zu Beginn) stets sehr rasch und wollen damit Führungsstärke demonstrieren. Ein Vorgehen, das meist verhängnisvoll, weil enorm teuer ist. Das Verhalten von Constantin, Jermini und Hafen war davon geprägt. Geduld mit dem Personal zählte nicht zu ihren Stärken. Hinzu kam bei ihnen ein krankhaftes Streben nach schnellem Erfolg. Und zwar ohne Rücksicht auf Preis, lokale und regionale Gegebenheiten. In der extremen Überschätzung der eigenen Sachkenntnisse sowie der Negierung des Möglichen liegen letztlich die Gefahren des Abgleitens in unseriöse Machenschaften. Besonders dann, wenn Kritik fehlt und Kontrollinstanzen entweder nicht vorhanden sind oder die Augen verschliessen. Was unter dominanten Dirigenten die Regel ist. Und ist der «point of no return» einmal überschritten, brechen ohnehin alle Dämme. Deshalb war es gar nicht so schlecht, das Duo Fischer/Bickel früh zu stoppen.




