Re: Absolut lesenswert
Verfasst: 28. Aug 2019, 14:22
WOZ hat geschrieben:Nr. 48/2019 vom 28.11.2019
VLADIMIR PETKOVIC
Ist er schlicht zu gut?
Er steht für schönen, mutigen Offensivfussball und ist der erfolgreichste Schweizer Fussballnationaltrainer aller Zeiten. Doch Deutschschweizer Zeitungen wollen, dass es mit Vladimir Petkovic aufhört. Warum eigentlich?
Von Adrian Riklin
Wehe, man erfüllt nicht jeden Wunsch der Medien: Vladimir Petkovic während der WM in Russland, 2018.
«Petkovic spaltet die Fussballschweiz», titelt der «Blick» am 20. November. «Wir brauchen einen neuen Mann.» Und auch die NZZ findet: «Es fehlt etwas. Die Offenheit, die Wärme, Dinge, von denen Petkovic gerne redet, aber die er nur im Ausnahmefall so lebt, dass sie nicht nur für seine Spieler sichtbar werden.» Dasselbe Lied im «Tages-Anzeiger»: «Petkovic mag auf dem Platz stark sein, daneben ist er es nicht. Und das ist sein Problem, weil er vergisst, dass ein Nationalcoach mehr als nur Coach ist, er ist auch Vermittler zwischen Mannschaft und Öffentlichkeit.» Um nicht den Eindruck zu erwecken, die Kampagne könnte ressentimentgeladen sein, sichert sich der «Blick» noch schnell ab: «20 000 haben auf Blick.ch innert weniger Stunden abgestimmt: 57 Prozent sind der Meinung, dass man nach der Endrunde im nächsten Sommer mit einem neuen Trainer einen Neuanfang machen soll.»
«Die Offenheit, die Wärme …»
Für alle, die nicht so fussballinteressiert sind: Die Schweizer Fussballauswahl hat sich am 18. November wieder einmal für eine Europameisterschaft qualifiziert. Seit Vladimir Petkovic das Team 2014 übernommen hat, hat es sich für jedes Grossturnier qualifiziert. Und dennoch arbeiten die führenden Deutschschweizer Medienhäuser gegen ihn. Am 21. November will der «Blick» einen weiteren Skandal im «Dunstkreis von Petkovic» enthüllt haben: Der Sohn seines Assistenten soll einen Juniorennationalspieler per SMS in seine Spielerberateragentur gelockt haben!
Was die drei Sportredaktionen vorführen, ist exemplarisch für die zeitgenössische Mediengesellschaft: Personen im Scheinwerferlicht stehen unter Dauerbewertung. Allerdings nicht mehr primär dafür, wozu sie eigentlich zuständig sind, also etwa Taktik oder Trainingsmethodik. Vielmehr geht es um ihr Verhalten gegenüber der Öffentlichkeit. Und, im Fall von Petkovic: gegenüber Journalisten. Denn diese – fast ausschliesslich männlichen – Medienleute verstehen sich offenbar als erste Verkörperung dieser «Öffentlichkeit». So im Stil: Was uns persönlich am persönlichen Umgang mit dieser Person nicht passt, missfällt auch der Bevölkerung. «Es fehlt etwas: die Offenheit, die Wärme …»: Man muss sich den Satz in Zeitlupe reinziehen. Das ist es also, was Sportjournalisten vom Nationaltrainer verlangen: «Offenheit und Wärme» – gegenüber Journalisten.
Doch in dieser Geschichte geht es um mehr. Deutlich wird das im Videokommentar von Andreas Böni, Fussballchef beim «Blick», in der Nacht vom 18. November nach dem 6 : 1-Sieg im Kleinstadion in Gibraltar, der die EM-Qualifikation besiegelte. Zerzaust und leidvoll, als ginge es um eine griechische Tragödie, steht Böni auf dem leeren Rasen. Und als sei er das Medium für die Sorgen eines ganzen Landes, meint er, es sei «halt schon wahnsinnig viel passiert: die Doppeladler-Affäre, Valon Behrami, Xherdan Shaqiri – und die unterirdische Kommunikation des Trainers. Das Volk hat sich zum Teil von der Nati entfremdet.»
Populismus aus der Provinzblase
Es ist ein düsteres Vokabular, das sich in Kommentaren rund um Petkovic und das Nationalteam einnistet – diese Equipe, die mehrheitlich aus Kindern von Eltern aus Exjugoslawien und aus afrikanischen Ländern besteht. Für einmal also hätten die Fussballjournalisten die Gelegenheit, die längst fällige Weltöffnung mit einzuläuten. Das aber scheint ihnen zu riskant. Sie bedienen die bei vielen Fans noch immer verbreitete Sonderversion von Patriotismus: Spieler wie Xhaka, Shaqiri, Zakaria oder Embolo werden bei schönen Toren zwar frenetisch bejubelt. Zugleich wird eindringlich betont, wie schade es doch sei, dass immer weniger «echte Schweizer» mitspielten. Und dass kaum wer zur Nationalhymne die Lippen bewege.
Genau diese Fans bedient nun aber der «Blick» – auch wenn es inzwischen viele andere gibt, die selbst keine sogenannten Schweizer Wurzeln haben und sich womöglich bestens mit dem aktuellen Ensemble identifizieren. Doch nun ist grad auch der Coach kein Eingeborener mehr. Soll er sich doch wenigstens eidgenössisch benehmen! Ein wenig volkstümlich wie der diese Woche verstorbene Köbi Kuhn und medienkuschelig wie Ottmar der Hitzfeld.
Petkovic aber lässt sich nicht in dieses Kostüm zwängen. Er bewahrt sich eine gewisse Weltläufigkeit, zuweilen etwas agentenhaft à la Daniel Craig. Mit einem Blick, der auch mal in die Weite schweift, als würde er eine neue Spielidee heranziehen sehen. Petkovic, sein Hintergrund, sein Akzent, sein Auftritt – all das passt nicht in den Kragen der Deutschschweizer Fussballkritik. Ist es seine Coolness, die die Journalisten derart schlottern lässt in ihrer Sehnsucht nach einer gewissen Heimeligkeit? Oder gar Neid? Auf diesen Mann aus Sarajevo, der das Spiel nicht mitmacht, das darin besteht, mehr in das Provinztheater drum herum zu investieren, in die klebrige Halbwisserei in den Hotelbars, als in die Sache selbst? Ist Petkovic den journalistischen Berufsamateuren zu professionell?
Die Spieler stehen hinter ihm. Selbst Roman Bürki, der als Weltklassetorhüter von Borussia Dortmund klagen könnte, weil er im Nationalteam seit Jahren hinter Yann Sommer ansteht. Die Vorwürfe gegen Petkovic, sagte er unlängst in der «Berner Zeitung», seien für ihn «fast schon Hetzerei, weil es den einen oder anderen Schweizer womöglich stört, dass Petkovic kein Eidgenosse ist und nicht Röthlisberger oder so heisst». Dabei verbinde der Fussball «doch genau die Menschen unterschiedlicher Herkunft». Und: «Wenn Vladimir Petkovic kritisiert wird, weil sein Deutsch nicht perfekt ist, finde ich das abstrus. Er ist nicht verpflichtet, jeden Wunsch der Medien zu erfüllen.»
Gibraltar, vor wenigen Tagen. Wie meist an Auswärtsspielen logierten sie alle im selben Hotel: die Fussballkorrespondenten der wenigen verbliebenen Medienhäuser. Je einer von Ringier, Tamedia, NZZ und CH Media sowie der Schweizerischen Depeschenagentur. Die KorrespondentInnen der französischsprachigen Medien sind anderswo einquartiert.
Man bleibt unter sich. Und dann kommt einer wie damals auf dem Kinderspielplatz aus einem anderen Quartier – und kann es besser. Der andere. Vladimir Petkovic, siebensprachig, der sich zum Entsetzen der Deutschschweizer Reporter auch noch erdreistete, im Tessin eine Pressekonferenz in der Landessprache Italienisch zu geben. Geboren 1963 in Sarajevo. Jusstudent. Halbprofi beim FK Sarajevo. 1987 der Transfer zum FC Chur. Schlecht bezahlter Berufsfussballer in Sion, Martigny, Bellinzona und Buochs. Caritas-Sozialarbeiter im Tessin, ab 1997 nebenamtlich Trainer in Bellinzona, bei Malcantone Agno und ab 2005 hauptamtlich wieder in Bellinzona. Aufstieg in die höchste Liga und Einzug in den Cupfinal. Von 2008 bis 2011 Trainer bei den Berner Young Boys und bis 2012 von Samsunspor in der Türkei. 2012: FC Sion. 2013: Lazio Roma, italienischer Pokalsieg. Und dann, 2014: die Wahl zum Nationaltrainer. EM 2016, WM 2018, EM 2020. Der erfolgreichste «Nati»-Trainer aller Zeiten.
Fertig, Kuschelparty
Und nun also: Sündenbock der Nation, zumindest für die Reporter aus der Deutschschweiz. Weil sie nicht mehr Teil einer medialen Kuschelparty sein dürfen wie damals bei Ottmar Hitzfeld, jenem Mathematiklehrer aus Lörrach, der sich 2012 nicht zu schade war, mit Ringier einen Vertrag für eine «redaktionelle Zusammenarbeit» einzugehen, um so trotz verpasster EM-Qualifikation die positive Berichterstattung des «Blicks» auf sicher zu haben. Petkovic dagegen machte den Medien von Anfang an klar: «Ich arbeite nicht für die Medien. Ich arbeite für den Verband, für den Schweizer Fussball, für meine Spieler.»
Diesen Samstag werden die EM-Gruppen ausgelost. Am 13. Dezember will Petkovic eine Jahresbilanz ziehen und sich womöglich auch zu seiner Zukunft äussern. Und die Deutschschweizer Fussballjournalisten? Sie wollen auf die Welt kommen. Aber nicht mit Petkovic. Das ist ihnen zu viel.
https://www.woz.ch/-a2b2
Da die meisten eh nur während der Arbeit online* sind und das BIP nicht zu sehr geschädigt werden soll, danke ich Dir für die ZusammenfassungAufwindfahne hat geschrieben: ↑13. Feb 2020, 00:21https://www.independent.co.uk/sport/foo ... 30431.html
genauso wie die unfähigkeit derjenigen, übergrossen mehrheit an kleinen und mittelgrossen clubs, welche in sämtlichen grossen ligen und verbänden über quasi sämtliche entscheidungsbefugnisse verfügen, sich gegen die kleine minderheit von grossclubs zur wehr zu setzen...The Intependent hat geschrieben:It also shows the effect of Champions League prize money, which has become one of the most profound problems in the game, as influential as anything else in creating this disparity.
[...]
The competition has become so popular that its prize money is simply immense: life-changing for many clubs and game-changing for the sport as a whole. It is so drastic that it distorts football.
die schuld dafür einfach an das konstrukt uefa zu delegieren und sich selber aus der verantwortung zu nehmen, ist nämlich weit verbreitet. es ist ein beliebtes ablenkungsmanöver: "diejenigen in bern (ob sfl oder parlament" oder "die eu" oder sonst eine übergeordnete ebene ist immer die schuldige. dabei verkennt man, wer denn effektiv entscheidet, wer in diesem übergeordneten organ das sagen hat: die mitglieder. ob das länder, kantone, landesverbände oder vereine sind ist total wurst. am ende sind die schuldigen eben doch in den eigenen reihen zu suchen. und entsprechend wären auch die lösungen gar nicht so "weit weg".The Indepentent hat geschrieben:“It usually ends up that they [UEFA] say we have to listen to the top clubs and give them something, to stop them going in the direction of a super league.”
CH Medien Gastkommentar hat geschrieben:Liebe Magdalena Martullo – ein offener Brief
von Patti Basler
«What do you do when the beamer breaks down?», hast du einst gefragt, «You first fix the beamer» war die richtige Antwort, die du gleich selber geben musstest, weil dein Mitarbeiter die sinking steps nicht verinnerlicht hatte.
Du bist eine zupackende Feministin, die dies nicht an die grosse Glocke hängt und höchstens mit dem praktischen Kurzhaarschnitt manifestiert. Eine Trendsetterin: Du trugst schon Schutzmaske, als es noch nicht in war. Wahrscheinlich wirst du die momentan grassierende Solidarität mit Minderheiten auch ablegen, bevor sie nicht mehr en vogue ist. Sinkende Boote soll man frühzeitig verlassen, you know the seven sinking steps.
Aber zuerst schaffst du 600'000 Masken an für Coiffeur-Salons, denen du sie ohne persönlichen Gewinn verkaufst.
Du kritisierst Bundesrat und Gesundheitssystem dafür, ein bisschen zu sehr auf den jahrelang von SVP und FDP gepredigten Liberalismus gehört zu haben. Lagerbestände wurden gesenkt, das staatliche Ethanollager aufgelöst, Spitäler auf Wirtschaftlichkeit getrimmt, lieber lohnende Hüftgelenk-Operationen als intensive Langzeitpflege. Es gibt nicht einmal genügend Klopapier.
Natürlich möchtest du weniger Staat, nur nicht in Krisen, da empfiehlst du China als Vorbild, das seine Bürgerinnen auf Schritt und Tritt überwacht. Gleichzeitig mahnst du, dass sich erwachsene Menschen nicht herumkommandieren lassen möchten; da hast du als Arbeitgeberin wohl Erfahrung.
Deine Kritik hat System: Staatliche Einrichtungen werden erst schlechtgeredet, dann kaputtgespart, im Krisenfall zeigt man mit dem Finger drauf: Seht, wie der Staat alles falsch macht! Wir haben es ja gesagt! Das scheint zu funktionieren: KiTas und Schulen, Gesundheitssystem, IV, Kesb haben einen schlechten Ruf. Alte und Kranke, Seniorinnen, aber auch Bauern, Ärztinnen, Lehrer gelten nur noch als lästige Kostenfaktoren.
Ausser in Krisen, wo sie plötzlich schützenswert oder systemrelevant sind. Im Gegensatz zu Selbstständigen und KMU können sie mit Lohnfortzahlung rechnen.
Hier kommt die grandiose Idee von deinem Parteifreund Thomas Burgherr ins Spiel: Gutverdienende sollen 1 Prozent ihres Einkommens abgeben, um die Ausfälle der KMU zu decken. Eine Art bedingungsloses Grundeinkommen, ein Mindestlohn für gefährdete Unternehmen und Selbstständige, bezahlt mit einer Art Steuer von Privilegierten. Das ist bahnbrechend. Stell dir vor, wenn Grossunternehmen und sehr gut Verdienende sogar noch einige Prozente mehr einbezahlen! Was du damit bewirken könntest! Da erscheinen 600'000 Schutzmasken geradezu knauserig. Wenn alle solidarisch mitmachen, man würde so vieles schaffen: Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsysteme sowie Coiffeur-Mindestlöhne, die der reichen Schweiz würdig sind.
Vielleicht möchtest du dir dann auch einmal eine Frisur leisten, die mehr als 70 Franken wert ist.
Natürlich hältst du dich, trotz aller Kritik, an die Regeln des Bundesrats, wäschst deine Hände mit Seife und in Unschuld und posierst im eigenen Garten. Zum Glück hast du das explizit erwähnt, denn nur schon auf dem gezeigten Bildausschnitt passt locker ein Senioren-Pflegeheim mit 20 Intensivbetten samt Schutzmasken-Lagerschuppen. So macht social distancing schon fast Spass. Da sind wir uns ähnlich, ich lebe ebenfalls privilegiert.
Deshalb hier mein Rat: Chill’s! In Zukunft musst du gar nicht zur Virologie-Expertin werden oder in Eigenregie Schutzmasken anschaffen – denn du bist der Staat. Zusammen mit uns allen. Als reicher und einflussreicher Teil dieses Staates kannst du getrost an Experten, Wissenschafterinnen und zuständige Behörden delegieren, welche von unseren Steuern angemessen bezahlt werden. So dass es nie mehr mangelt in zukünftigen Krisen. Auch nicht an Klopapier. Denn mit der unsichtbaren Hand wischst nicht mal du den Hintern.
Es grüsst
sozial distanziert
Patti Basler.
P.S. What do you do, when the system breaks down? You first fix the system.
11. Juni 2020, 9:05 Uhr
Bundesliga ohne Fans
Der Fußball sucht den Sinn des Lebens
Fußball - Liga-Spiel zwischen Tabellenführer Roter Stern Belgrad und dem Tabellenzehnten Radnika Surdulica
Volle Tribüne, trotz Pandemie: In Serbien dürfen neuerdings wieder Fans ins Stadion, wie hier im Liga-Spiel zwischen Tabellenführer Roter Stern Belgrad und dem Tabellenzehnten Radnika Surdulica (Foto: Aleksandar Djorovic/imago)
Fußball vor leeren Rängen ist wie Diätkost im Krankenhaus. Die Folge: Die Leute wenden sich ab. Es braucht Überlegungen, wie sich das Publikum zurückholen lässt.
Kommentar von Philipp Selldorf
Das Liga-Spiel zwischen Tabellenführer Roter Stern Belgrad und dem Tabellenzehnten Radnika Surdulica am vorigen Samstagabend begann, wie man in der Fachsprache sagt, mit einem Paukenschlag: Milan Makaric brachte den Außenseiter nach Vorarbeit von Vuk Mitosevic in Führung. Aber Roter Stern wusste zu antworten: Radovan Pankov und Srdjan Babic drehten die Partie noch vor der Pause, am Ende hieß es 4:1. Zum Gefallen des Großteils der 14 381 Zuschauer im Rajko-Mitic-Stadion.
14 381 Zuschauer?
Ja, in Serbien dürfen neuerdings wieder normale Menschen ins Stadion, und nicht wenige machen dort jetzt wieder die Dinge, die sie immer gemacht haben: Sie zünden Feuerwerk an und drängen sich im Fanblock zusammen. Zwar gelten von Amts wegen Abstandsregeln, aber diese Vorschrift haben die Belgrader Hardcore-Anhänger ungefähr so streng befolgt, wie sie seit jeher das Feuerwerksverbot zu beachten pflegen.
Im deutschen Profifußball wird es am Wochenende abermals so sein, dass lediglich 289 abgezählte, desinfizierte, fiebergemessene und maskierte Personen dabei sein dürfen. Funktionäre, Techniker, Ordner, Sanitäter, Reporter und das sogenannte Hygienepersonal. In diesem Kreis wird garantiert niemand ein Leuchtfeuer oder einen Böller zünden, selbst Zwischenrufe und Geräusche sind ja hier und da umstritten: Werder Bremen wurde bereits gerügt, weil Ersatzspieler und Betreuer vorsätzlich Krach gemacht hätten.
Gerade ist Fußball nur eine Ersatzbefriedigung
Über diese verklemmten Verhältnisse braucht jetzt niemand zu klagen in der Liga, und das tut übrigens auch keiner. Man hat aus nie geleugneten ökonomischen Gründen alles dazu unternommen, damit die Geisterspielrunde stattfinden kann, man ist dafür vor der Politik und der Gesellschaft Verpflichtungen eingegangen, und nun - schließlich sind wir in Deutschland - hält man sich auf Punkt und Komma an die Vorschriften. Rudi Völler hat zwar schon gesagt, dass er es für Quatsch hält, unter freiem Himmel und drei Meter entfernt vom Nebenmann stundenlang eine Maske tragen zu müssen, aber er trägt sie trotzdem.
Das Problem ist, dass diese Art von Fußball auf Dauer niemandem so richtig Spaß macht. Ein Theater ohne Publikum ist kein Theater. Anders als das Bild von den Geisterspielen verspricht, sind eben leider nicht mal Gespenster auf den Tribünen, die ab und zu Huuuu! rufen und mit den Ketten klirren, stattdessen atmet der Sport den sterilen Geist des "Hygienekonzepts", das die rechtliche Grundlage dieser Veranstaltung bildet. Es ist Fußball, man kann dem Spiel zuschauen und es als pure Essenz interessant finden, doch es bleibt dem Wesen nach eine Ersatzbefriedigung, ungefähr wie Diätkost im Krankenhaus. Und wie das so ist mit Surrogaten: Die Leute lassen den Teller jetzt öfter mal stehen, wie aus den rückläufigen Quoten der "Sportschau" hervorgeht. Den Deutschen ist die Bundesliga gewiss noch wichtig, aber sie fragen sich, ob das gerade noch ihre Bundesliga ist.
Wenn die Funktionäre jetzt darüber nachdenken, wie sie es hinbekommen, in der nächsten Saison wieder vor Publikum zu spielen, dann haben sie nicht den Umsatz im Blick, der in den leeren Stadien jetzt fehlt. Sondern viel mehr als das: Das Lebens- und Geschäftsmodell des Profifußballs schlechthin, das seit jeher auf der Mobilisierung von Menschenmassen und dem Prinzip des Circus Maximus beruht, ab und zu mit unerlaubtem Feuerwerk. Es braucht allerdings viel Fantasie für die Vorstellung, dass sich demnächst wieder zu Tausenden die Besucher an den Eingangstoren drängeln und Fans Schulter an Schulter in der Kurve stehen. Die DFL wird dazu einen präzisen und rationalen Plan machen, aber bevor sie anfängt, die Fortsetzung ihres weltberühmten Hygienekonzepts zu schreiben, sollte sie vielleicht mal in Serbien nachfragen.
Der Vergleich mit dem Schwingen ist lästig und schlicht nicht anwendbar für mich.lucerne hat geschrieben: ↑14. Jun 2020, 11:37https://www.nzz.ch/sport/super-league-d ... ld.1560974
„ „Der Liga fehlt ein USP
Aber viel mehr als Anpassungsbereitschaft benötigte die Schweizer Liga ein Stückchen Pioniergeist. Dieser Schweizer Liga fehlt ein USP oder zumindest eine Vision, wie sie als etwas Besonderes erkannt werden möchte – als etwas Besonderes, dessen gesellschaftliche Bedeutung nicht von der halben Gesellschaft hinterfragt würde. Markus Lüthi, der Präsident des FC Thun, sagte im Februar in der NZZ: «Wie im Schwingen müsste es sein – dass Familien gerne an die Spiele kommen, dass die Leute danach auch noch länger bleiben, dass das Stadion zu einem Begegnungsort wird.» Das Schwingen muss immer wieder herhalten, wenn es um ein Idealbild geht, und es müsste nicht einmal diese pure Swissness sein, wie sie an einem Schwingfest herrscht – aber es brauchte die Entschlossenheit, in andere, neue Richtungen zu denken.“
Grundsätzlich einverstanden. Der Vergleich mit dem Schwingen passt aber eben doch, weil dort genau Vereinsdenken, Ehrlichkeit, Bescheidenheit und auch etwas Idealismus noch im Vordergrund stehen. Vielleicht passt Dir am Schwingen nicht, dass sich dort "stockkonservative" und "neoliberale" noch abgeholt fühlen, beim Fussball ist dies leider immer weniger der Fall.Don Pedro hat geschrieben: ↑14. Jun 2020, 16:59Der Vergleich mit dem Schwingen ist lästig und schlicht nicht anwendbar für mich.lucerne hat geschrieben: ↑14. Jun 2020, 11:37https://www.nzz.ch/sport/super-league-d ... ld.1560974
„ „Der Liga fehlt ein USP
Aber viel mehr als Anpassungsbereitschaft benötigte die Schweizer Liga ein Stückchen Pioniergeist. Dieser Schweizer Liga fehlt ein USP oder zumindest eine Vision, wie sie als etwas Besonderes erkannt werden möchte – als etwas Besonderes, dessen gesellschaftliche Bedeutung nicht von der halben Gesellschaft hinterfragt würde. Markus Lüthi, der Präsident des FC Thun, sagte im Februar in der NZZ: «Wie im Schwingen müsste es sein – dass Familien gerne an die Spiele kommen, dass die Leute danach auch noch länger bleiben, dass das Stadion zu einem Begegnungsort wird.» Das Schwingen muss immer wieder herhalten, wenn es um ein Idealbild geht, und es müsste nicht einmal diese pure Swissness sein, wie sie an einem Schwingfest herrscht – aber es brauchte die Entschlossenheit, in andere, neue Richtungen zu denken.“
Trotzdem schön zu sehen, wie mittlerweile auch "stockkonservative" bzw. neoliberale Kreise das System in einer existenziellen Sinnkrise sehen.
Es bräuchte dabei nicht einmal weltbewegende Anpassungen, sondern einfach wieder einmal etwas Bescheidenheit. Etwas Ehrlichkeit und Idealismus, wie man es früher noch hatte. Etwas mehr Vereinsdenken anstelle von Wirtschaftsvokabeln. Etwas mehr Mut zum Schritt zurück anstelle blinder Angst vor dem "abgehängt werden". Im Endeffekt bedeutet es wohl schlicht, etwas mehr Mike Hauser oder Josef Bieri anstatt Dr. iur. Philipp Studhalter und Investorenpack in der öffentlichkeitswirksamen Exekutive.
Oder einfach ganz schlicht: https://www.usl.lu/so-muss-fussball
Sorry, aber genau das sollte doch ein Heimspiel bei uns auch wieder sein. Ein "Erlebnis", ein "Treffpunkt", mit dem "emotionalen Spiel" als Höhepunkt, also ebenfalls wieder ein Fest oder Happening, zu dem man einfach hin muss. Es gab mal eine Fangruppierung auf der Allmend, die hiess "scheissegal", warum wohl?Don Pedro hat geschrieben: ↑15. Jun 2020, 08:12Keine Angst, Schwingen passt mir irgendwie sehr gut. Es ist anders, aber es hat seinen Reiz.
Ich habe halt einfach Mühe damit, dass der Fussball immer für Vergleiche mit Schwingen herhalten muss. Wenn Einzelsportarten ohne vergleichbare "Fankultur", dessen Feste alle jährlich einmal mit unterschiedlichsten Teilnehmerfeldern stattfinden, mit viel emotionaleren und wöchentlich ausgetragenen Sportarten wie Eishockey oder Fussball verglichen werden, kann ich das nicht wirklich nachvollziehen. Denn in all diesen Vergleichen läuft es am Ende darauf hinaus, dass der Stammtischpolterer mit dem Argument kommt, dass es ja eben "auch ohne" gehe. "Auch ohne" ist dann eben meist auf Gewalt oder Pyrotechnik bezogen, wobei es an Schwingfesten ja durchaus auch mal knallt. Dort sind es dann aber dann Einzelpersonen und Idioten, die halt etwas über den Durst getrunken haben. Nicht weiter schlimm also. Es ist aber für viele Leute auch einfach ein Fest oder Happening, bei dem es scheissegal ist, wer gewinnt.
Dass Familien nicht zu einem Fussballspiel können, ist zudem absoluter Mumpitz und dass es aus dem Mund vom ach so sympathischen Lüthi kommt, macht mich echt grantig. Auch wenn er das nur indirekt impliziert.