Re: Absolut lesenswert
Verfasst: 5. Jan 2021, 19:53
Meine 18 Jahre mit dem FCZ und GC: Abschied von den grossen Kindern
Unser Autor blickt zurück auf fast zwei Jahrzehnte Berichterstattung über den FC Zürich und die Grasshoppers. Was bleibt? Die Beziehungen zu den Menschen. Sie verraten mehr über den Fussball als alles, was auf dem Platz passiert.
«Fragen Sie doch den Clalüna, der hat diesen Mist geschrieben», sagte Ancillo Canepa. Es war Anfang 2007, Canepa war erst seit ein paar Monaten Präsident des FC Zürich. Wir standen in der Zürcher Saalsporthalle in einer grossen Journalistenrunde zusammen, und Canepa war mit meiner Berichterstattung nicht zufrieden. Als alle anderen gegangen waren, setzten wir uns auf Klappstühle und redeten, ein paar Minuten später bot er mir das Du an: «Ich bin der Cillo.» Cillo ist der Mann im Schweizer Fussball, den ich am längsten begleitet habe. Mochten wir uns? Wahrscheinlich schon. Hatten wir Konflikte? Immer wieder. So ist das als Journalist im Sport. Es ist eine kleine Welt, es menschelt, man kennt sich, man hält Distanz und sucht Nähe. Man schafft Vertrauen und verspielt es wieder.
Achtzehn Jahre lang habe ich mich als Sportjournalist um den FC Zürich und den Grasshopper-Club gekümmert und ihre Titel, Abstiege, Siege und Niederlagen miterlebt. Aber was am Ende bleibt, sind nicht die Zahlen, es sind die Beziehungen, die guten und die weniger guten. Sie verraten mehr über den Fussball als alles, was auf dem Platz passiert. Sie zeigen die Verrücktheiten dieses Geschäfts, die versuchten Einflussnahmen, die Abhängigkeiten, die schwierige Balance zwischen Nähe und Distanz, manchmal die Verlogenheit. Immer wieder aber auch, wie liebenswürdig die Menschen sein können, die das Spiel auf dem Rasen spielen oder es von ihren Büros aus steuern, wie grosse Kinder.
Ohne Unvernunft geht es nicht.
Am Anfang war der alte FCZ-Präsident Sven Hotz, der hinter seinem Bürotisch zwischen Unmengen von Papier hervorguckte und zum Abschied immer sagte: «Schreiben Sie gut über den FC Zürich.» Das war und ist das Verständnis der Fussballklubpräsidenten: Journalisten und Vereine sitzen im gleichen Boot. Dass dem nicht so ist, haben die meisten nicht verstanden. Hotz hatte damals bloss charmanter und unschuldiger formuliert, was bis heute erwartet wird: eine wohlwollende Berichterstattung. «Positivität» nennt es der Schweizer Nationaltrainer Vladimir Petkovic. Nachdem Canepa vor ein paar Jahren in einen Machtkampf im Verwaltungsrat des FCZ verwickelt gewesen war, sagte er, ich (also die NZZ) hätte nichts getan, um ihm zu helfen.
Tollhaus GC
«Wenn Sie so weiterschreiben, sind Sie der Totengräber von GC», hatte der frühere GC-Präsident Urs Linsi zu einem meiner Redaktionskollegen gesagt. Der gleiche Linsi, der mich einmal spätabends anrief und meinte, ich schriebe so, als sei GC ein Irrenhaus. Aber das interessiere ihn gar nicht. Es sei für ihn nicht wichtig, was in der Zeitung stehe. Das war die Spannweite: Als Journalist konnte man in seinen Augen einen Klub zerstören. Oder was man schrieb, war irrelevant. Beides stimmt nicht. Der GC-Funktionär Adrian Fetscherin fragte mich kürzlich, was eigentlich unsere «Agenda» sei, weil er einen Artikel für rufschädigend hielt. Es gibt keine Agenda. Er hat mir nicht geglaubt.
Linsi hat übrigens ein paar Tage nach seinem Rücktritt als GC-Präsident noch einmal angerufen und gemeint, GC sei tatsächlich ein Tollhaus gewesen. Manchmal bekommt man als Journalist erst im Nachhinein recht. Oder gar nicht. Es kam immer wieder vor, dass eine Analyse nicht richtig oder sogar anmassend war. Über Erich Vogel, den langjährigen GC-Manager, hatte ich 2009 geschrieben, er habe seinen Instinkt verloren und werde im Fussball wohl keine Rolle mehr spielen. Vogel ist immer noch da und hat weiterhin Einfluss. Vor ihm wurde ich als junger Journalist von vielen Kollegen gewarnt. Er werde mich anlügen und manipulieren. Soweit ich es habe nachprüfen können, ist das nie passiert. Oder ich habe es nicht gemerkt.
Und es gab die Trainer, die ich falsch einschätzte, allen voran Urs Fischer. Als er FCZ-Chefcoach wurde, schrieb ich ein wenig vorteilhaftes Porträt über ihn, in dem ich ihm fehlendes Gespür für Menschen unterstellte. Auch den damaligen GC-Trainer Ciriaco Sforza kritisierte ich einmal zu hart, er sei nicht authentisch. Ich merkte erst viel später, was sich dahinter verbarg und was für ein sensibler Mensch er ist. Fischer stauchte mich nach der Veröffentlichung des Porträts im persönlichen Gespräch zusammen, wir sassen auf einer Treppe, er fluchte und sagte dann: «So, und jetzt ist alles wieder gut. Jetzt fangen wir von vorne an.» Fischer hat viel mehr erreicht, als ich ihm zugetraut hatte. Und er ist der uneitelste und ehrlichste Trainer, dem ich begegnet bin. Kurz nach seiner Entlassung beim FC Zürich tranken wir in einer Autobahnraststätte einen Kaffee. Er sagte, er habe Angst, keinen Job mehr zu finden, «mein Telefon klingelt nie».
Andere waren selbstbezogener und unsicherer, als man es vielleicht erwartet hätte. Der frühere FCZ-Trainer Lucien Favre rief mich einmal in meinen Ferien an. Christian Gross war am gleichen Tag beim VfB Stuttgart entlassen worden. Favre meldete sich, um zu sagen, wenn ich etwas über diese Entlassung schriebe, dürfe ich sie keinesfalls mit ihm und seiner Zeit bei Hertha Berlin vergleichen. Man könne Gross nicht in den gleichen Topf werfen wie ihn. Favre ist der spannendste Trainer, den ich kennenlernen durfte. Ganz verstanden habe ich ihn nie. Er war offen und verschlossen zugleich, einmal sassen wir mit ihm in seinem Haus in Saint-Barthélemy im Waadtland, lernten seine Frau kennen und tranken Tee. Ein paar Tage später nahm er das Telefon nicht mehr ab, als wir ihn nochmals erreichen wollten. Es war wieder wie damals, als er den FC Zürich trainierte, interessante Dinge sagte und dann doch immer anfügte: «Aber das schreiben Sie nicht.»
Andere wollten dagegen unbedingt, dass man etwas schreibt, Einflüsterer, bei denen ich erst später merkte, worum es ihnen wirklich ging. Es gibt dazu eine Episode. Sie ist auch viele Jahre später noch so heikel, dass sie nur anonymisiert wiedergegeben werden kann. Aber sie zeigt, wie das Geschäft manchmal funktioniert. Ein Manager hatte mir erzählt, seinem Klub fehle es an ein paar Millionen Franken, «aber das haben Sie nicht von mir». Ich rief beim Präsidenten und beim Medienchef an, und sie sagten, wir müssten uns sofort am Flughafen treffen. Dort sassen wir dann, der Präsident, der Medienchef und der Manager, der mir diese Information vom fehlenden Geld überhaupt erst zugetragen hatte. Er sagte an mich gewandt: «Woher haben Sie das bloss? Was machen wir denn jetzt?» Am Ende stand es in der Zeitung, und ein reicher Mäzen beglich den Fehlbetrag. Es war das, was der Manager gewollt hatte: öffentlich Druck auf den Geldgeber zu machen.
Druckversuche erlebt man als Journalist im Fussball immer wieder, einige sind charmant, andere weniger. Der frühere GC-Präsident Stephan Anliker hatte mir einmal geraten, einen Wirtschaftskurs zu besuchen, damit ich endlich verstünde, wie gut es eigentlich um die Finanzen seines Klubs stehe. Und der ehemalige FCZ- und GC-Coach Uli Forte fragte mich 2016 am Telefon verärgert, ob ich selber eigentlich auch Fussball gespielt hätte. «B-Junioren, höchstens B-Junioren», meinte er. Wir lachen inzwischen darüber.
Was ist wahr?
Es kam auch vor, dass sich jemand für einen Artikel bedankte. Fredy Bickel, der Manager, der für Journalisten immer erreichbar ist, schrieb mir einmal als FCZ-Sportchef, er habe sich über ein Porträt über ihn gefreut. Das wunderte mich, weil es nicht nur freundlich war. Bickel ist der menschlichste Funktionär, den ich im Schweizer Fussball erlebt habe. Aber man sagt allerlei böse Dinge über ihn, auch kürzlich wieder, als er bei GC entlassen wurde. Man weiss im Fussballgeschäft nie recht, was wahr ist und was nicht. Man sagt, eine Krähe hacke der anderen kein Auge aus. Im Fussball schon.
Es wird oft schlecht übereinander gesprochen. Und im Fussball wird gemacht, was anderswo schon längst verboten ist, verdeckte Zahlungen, Hinterzimmergeschäfte unter Komplizen. Einmal sass ich mit dem Agenten eines früheren GC-Trainers in einem Flughafenhotel. Er erzählte mir, wie Vertragsverhandlungen ablaufen, es klang wie eine Geschichte aus dem Milieu. Schliesslich sagte der Agent zu seinem Trainer: «Hör zu, wir haben jetzt jahrelang die Leute über den Tisch gezogen. Jetzt machen wir einmal etwas Gutes und unterschreiben für weniger Geld.»
Die Hochstaplergeschichte rund um GC und Volker Eckel aus dem Jahr 2009 zeigt vielleicht am besten, wie anfällig der Schweizer Fussball für merkwürdige Geschäfte ist. Wir sassen damals im Hotel Dolder hoch über Zürich und warteten in der Bar auf den vermeintlichen Geldgeber, der den Grasshoppers Hunderte von Millionen Franken versprochen hatte. Eckel kam nicht, und das Geld kam auch nie. Es war ein Geldversprechen gegen jede Wahrscheinlichkeit, aber bei GC hatte man daran geglaubt, ein kleines bisschen wenigstens, ein «Millimü», hatte Erich Vogel damals gesagt.
Es wird getrickst, auf dem Platz und daneben.
Es gibt auch die Seriösen, und vielleicht sind sie in den letzten Jahren mehr geworden, weil die Kontrollen schärfer sind. Aber es gibt immer noch Raum für die, die das Geld versickern lassen und sich bereichern. Als Journalist weiss man zum Teil davon, aber beweisen kann man es fast nie. GC gehörte eine Zeitlang zu den Klubs, bei denen solche Geschichten herumgeboten wurden, beim FCZ unter Canepa gab es solche Gerüchte kaum. Canepa ist neben Christian Constantin vom FC Sion vielleicht die schillerndste Figur im Schweizer Fussball, er ist emotional, im Umgang manchmal schwierig, er macht Fehler, aber er ist seriös, wenn es um das Geschäftsgebaren geht. Auch er hat schon zu viel Geld für einen Spieler ausgegeben, aber das waren emotionale, keine unredlichen Geschäfte.
Einmal sass ich mit dem Ehepaar Canepa in ihrer Loge des Letzigrundstadions, der FCZ war in der Saison zuvor abgestiegen. Es herrschte eine eisige Atmosphäre, ich hätte mich mit meiner Berichterstattung mitschuldig gemacht, sagte Heliane Canepa, «wir sind uns vorgekommen wie Mörder». Heliane Canepa, die oft so freundlich gewesen war, war unversöhnlich. Bis Ancillo sagte: «Komm, lass gut sein.» Wir liessen es in all den Jahren immer wieder einmal gut sein, beim FCZ und auch bei GC. Irgendwie ging es immer weiter.
Flurin Clalüna gehörte ab 2002 der Sportredaktion an und schrieb als weitherum geschätzter Experte vor allem über die Grasshoppers, den FC Zürich und die Fussballnationalmannschaft. Per Anfang Jahr hat er ins Redaktionsteam von «NZZ Folio» gewechselt.