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von bundesrat » 28. Nov 2005, 21:32
Habe einen lesenswerten Bericht in der FAZ (ne deutsche Zeitung...)gefunden.
Fußballfans
Sie können sich ihre Wappen selber basteln
Von Andreas Rosenfelder
23. November 2005 Noch in den späten achtziger Jahren kam niemand auf
die Idee, Fußball als Teil der Popkultur zu betrachten. Damals traf man
in einer ganz normalen Fankurve, die selten ausverkauft war, auf eine
Monokultur von Röhrenjeansträgern mit Schnäuzer und Vokuhila.
Der Durchschnittsfan trug einen meterlangen Häkelschal in den
Vereinsfarben und mindestens einen Aufnäher auf der Jeansjacke. Über
weite Strecken beherrschte ein von heiseren Schreien durchbrochenes
Gemurmel das Klangbild, aus dem sich nur manchmal Gesänge
herausschälten, in denen man den Gästefans meistens zu
Rod-Stewart-Melodien unterstellte, unter Brücken oder in der
Bahnhofsmission zu schlafen - und das war noch eine der
diplomatischeren Botschaften.
Man muß sich an diesen rauhen Urzustand erinnern, wenn im Vorfeld der
WM nun jeder Theaterintendant seit Jahrzehnten eingefleischter
Fußballfan gewesen sein will. Vor fünfzehn Jahren gab es noch keine
Intellektuellenmagazine für Fußballkultur, sondern nur
maschinengetippte und handkopierte Fanzines, die in den Halbzeitpausen
verteilt wurden und die Vorfreude auf die berüchtigte ?Dritte Halbzeit?
anheizten. Daß sich Fußball zum hippen Gesamtkunstwerk entwickelt hat,
das alle Gesellschaftsbereiche durchstrahlt, ist keineswegs nur den
üblichen Verdächtigen wie Franz Beckenbauer, Nick Hornby oder dem
Sender Premiere zu verdanken.
Revolution in den Stadien
Wesentlichen Anteil an der Wiederbelebung des lange Zeit als
Proletensport verpönten Fußballs hatte die ?Ultra?-Bewegung, die in den
neunziger Jahren von Südeuropa nach Deutschland schwappte und die
Atmosphäre in hiesigen Stadien revolutionierte. Die tribünenfüllenden
Choreographien, die vor jeder Live-Übertragung als Stimmungsmacher
eingeblendet werden und beim Stadionbesuch vor dem Anpfiff für
unvergleichliche Gänsehaut sorgen, gäbe es ohne die ?Ultras? nicht.
Daß nun Sicherheitsexperten und zweifelhafte Fansoziologen mit
Begriffen wie ?Hooltras? das Bild einer diffusen Bedrohung aus den
Fanblöcken zeichnen und daß Reporter in jedem Bengalfeuer ein
Vorzeichen des Bürgerkriegs ausmachen, während gleichzeitig der DFB mit
dem offiziellen ?Fan Club Nationalelf? den lächerlichen Versuch
unternimmt, in der Retorte eine keimfreie Fankultur heranzuzüchten -
dieser kritische Punkt in der jungen Geschichte der deutschen Ultras
sollte Anlaß geben, ihren Standort zu bestimmen.
Tradition und Avantgarde
Wie bei vielen Jugendkulturen führt auch der Weg zu den Ultras über
eine Negation. So verkörpert die urige Fankneipe ?Auf Schalke? an der
Kurt-Schumacher-Straße 119 in Gelsenkirchen - ein holzvertäfeltes
Museum für Fanschals und Trikots - all das, was die Ultras nicht sein
wollen. Hier sitzt der ?Schalker Fanclub Verband?, der fast
zwölfhundert Schalke-Fanclubs mit rund fünfundzwanzigtausend
Mitgliedern zusammenfaßt. Im Gegensatz dazu haben sich die Ultras immer
als Avantgarde verstanden: In Gelsenkirchen zählen sie rund achthundert
Mitglieder.
In der Südtribüne der alten Glückauf-Kampfbahn, ebenfalls an der
Kurt-Schumacher-Straße, sitzt das ?Schalker Fanprojekt?. Der
selbständige Designer Jan Klaffke und der Jurastudent Thomas Kirschner,
beide fünfundzwanzig Jahre alt, sind die Vorsitzenden der ?Ultras
Gelsenkirchen? und waren schon in den späten Neunzigern dabei, als in
der Schalker Kurve die ersten Choreographien auftauchten. Nach
Deutschland übergesprungen war der Funke in Leverkusen, wo die
?Madboyz? schon 1994 beim Uefa-Cup-Spiel gegen den FC Parma mit
Pyrotechnik und Großschwenkfahnen experimentierten und das damals
unscheinbare Ulrich-Haberland-Stadion in einen Hexenkessel
verwandelten.
Das Ende der Kuttenkultur
Während, wie Klaffke sich erinnert, vorher die ?Kuttenkultur aus dem
Proletariat? die Stadien prägte, stammen die Ultras überwiegend aus
?gutbürgerlichen Kreisen?. Eine wichtige Rolle bei der Aneignung der
neuen Fankultur spielten das Deutsche Sportfernsehen mit seinen
Übertragungen aus südlichen Ligen und das Internet, wo man auf
Audiodateien mit neuartigen Fangesängen stieß, die alte Brüller wie
?Zieht den Bayern die Lederhosen aus? verblassen ließen. Eines der
deutlichsten Merkmale der Ultra-Kultur ist die Ersetzung des
Schlachtrufs ?Ole? durch ?Allez? - auch wenn diese feine
Lautverschiebung, wie Kirschner abwinkend feststellt, beim breiten
Publikum längst noch nicht durchgedrungen ist.
In Italien existierte die ?Ultra?-Bewegung, die für ultimative
Unterstützung des Heimatvereins auch bei Auswärtsfahrten eintrat, seit
den sechziger Jahren. Viele ihrer Formen - das Megaphon des ?Capo?, der
als ?Kopf? der Kurve die Gesänge vorgibt, oder die mit zwei Stangen
getragenen Doppelhalter - wanderten aus der Protestkultur in die
Stadien. So spielten die ?Brigate Rossonere? des AC Mailand mit ihrem
Namen nicht nur auf die Vereinsfarben Schwarz-Rot, sondern auch auf die
Roten Brigaden an. Auch wenn die ?Ultra?-Szene nie politisch festgelegt
war und es in Italien immer sowohl rechte als auch linke Kurven gab,
verband sie doch der Wille, die Autonomie der Fanblöcke zu verteidigen.
Man lehnte Trikots und kommerzielle Fanartikel ab, um statt dessen in
Zivil zum Spiel zu kommen und alle für den ?Support? wichtigen
Gegenstände selbst zu basteln.
Small talk hält sich in Grenzen
Mit der üblichen Fanfolklore hat dieser unabhängig von Sponsoring und
Vereinsgeldern hochgehaltene Anspruch, ?die Stadionatmosphäre optisch
und akustisch zu verbessern?, nicht viel gemein. ?Wir sehen die Spieler
nicht als Idole an, mit denen man Arm in Arm fotografiert werden will?,
erklärt Klaffke. So spielt Small talk über das Privatleben der Profis
oder die optimale Aufstellung natürlich auch bei den Ultras eine Rolle,
hält sich aber in Grenzen. ?Ich kann nicht beeinflussen, wer in der
Viererkette spielt?, sagt Klaffke. ?Wir können aber die Farben zeigen,
die wir hochhalten.? Auch Kirschner betont den expressiven Wettbewerb,
den die Ultras unterschiedlicher Vereine mit ihren Choreographien
führen - und der das gewaltsame Austragen der Konkurrenz nach dem
Schlußpfiff fast ganz abgelöst hat.
Viele ?Normalos? unter den Fans argwöhnen, daß es den Ultras gar nicht
mehr um den Spielverlauf, sondern nur noch um Symbolfetischismus und
lückenlose Unterstützung geht. Schließlich steht der ?Capo? über
neunzig Minuten mit dem Rücken zum Spielfeld. Doch Klaffke sieht genau
darin eine tiefere Form der Zuwendung - in einer Zeit, in der man sein
Fantum nicht mehr nur über die alle paar Jahre durchgewechselte
Mannschaft definieren kann. ?Man klammert sich an die Idee des Vereins,
die Gemeinschaft des Vereins. An traditionelle Werte wie Wappen und
Farben.?
Fußball als Freiraum
Auch wenn sich die Ultras scheinbar vom modernen Fußball mit seinen
ökonomischen Bedingungen und am Taktiktisch gewonnenen Erkenntnissen
abkoppeln, geht es ihnen um die Rettung des Fußballs als eines nicht
fremdbestimmten Freiraums. ?Die Ultras haben unbewußt an der
Kommerzialisierung des Sports mitgewirkt?, gibt der Jurastudent
Kirschner zu. Jetzt, sagt Klaffke, kopiert der DFB mit seinem
Laborfanclub die Stimmungstechniken der Ultras, während andererseits
Angst geschürt wird vor ?Menschenansammlungen in der Kurve, die nicht
berechenbar sind?.
Schon wegen Bierbecherwürfen werden Stadionverbote verhängt. ?Auf der
Kurve?, sagt Klaffke, ?sollte es aber gewachsene Rituale geben, die
toleriert werden.? Denn längst werde die Jugendkultur der ?Ultras?
eingeholt von einer ?Klingelton-Generation?, die mit Freundin im Arm
und Fanshop-Tüte in der Hand ins Zentrum des Fanblocks eindringt, das
doch nach alter italienischer Sitte den Ultras gehört, und sich dann,
wenn die ganze Kurve hüpft, über Schmutzflecken auf ihren empfindlich
weißen Turnschuhen beschwert. Das klingt nach jener Arroganz, die den
Ultras oft vorgeworfen wird - aber die familienfreundlichen
Sitzplatzstadien sind groß und die Ultras klein an der Zahl. ?Die
Fankurve?, sagt Klaffke, ?ist in einer beliebigen Spaßgesellschaft eine
Insel, die gleichbleibt.?
Wechselseitiger Respekt
Auch wenn die ?Ultras? keinen Spielerpersonenkult betreiben, gibt es
Bundesligaprofis, die genau diese Form der Unterstützung schätzen. Der
Schalker Torhüter Frank Rost, im Fall eines Rückzugs von Jens Lehmann
womöglich als dritter Torhüter bei der WM, trägt auf dem Platz seit
geraumer Zeit ein T-Shirt der ?Ultras Gelsenkirchen? unter seiner
Torwartkluft und trifft sich immer wieder mit Vertretern der Ultras.
Als Rost vor einigen Wochen auf seiner Homepage über das Verhalten
einiger Fans klagte, die ihn mit aggressiven Sprüchen wie ?Wir zahlen
dein Gehalt? im Alltag anmachten, versuchten die Boulevardmedien
anfangs das Bild des arroganten Millionärs zu zeichnen - während in der
Fanszene großes Verständnis für die Forderung nach höflichem Umgang und
wechselseitigem Respekt artikuliert wurde.
Wahrscheinlich wird Frank Rost auch deswegen so geachtet, weil er auf
aufsehenerregende und gerade deshalb unglaubwürdige Loyalitätsgesten
verzichtet. ?Es widerstrebt mir, das Vereinswappen zu küssen?, sagt
Rost. ?Ich war auch nicht gleich Schalker, als ich aus Bremen nach
Gelsenkirchen kam.? Im feinen Restaurant ?Schloß Berge? nahe der
jetzigen ?VeltinsArena? bestellt er Scholle - er schätzt das gute Essen
hier, das auch im Ruhrgebiet langsam die fettige
Jägerschnitzel-Monokultur verdrängt. Der in Ostdeutschland
aufgewachsene Torwart versteht sich mit den Ultras besser als mit den
zum Starkult neigenden Modefans. ?Die Ultras sind ganz normale
Menschen, die sachlich mit dir reden. Ich weiß auch, was die für
Entbehrungen auf sich nehmen.?
Reingepfercht und reingeprügelt
Für eine künstliche Fankultur, wie sie der DFB zur Weltmeisterschaft in
Szene setzen möchte, hat Rost ebensowenig Sinn wie für Kunstrasen.
?Wenn man so weit kommt, daß man offizielle Choreographen engagiert,
dann ist der Fußball kaputt.? Ihm steht der harte Kern der Fans, ?Leute
mit Ecken und Kanten?, näher als jene Eventfans, die schon zur Pause zu
pfeifen beginnen. ?Wenn ein Pferd Temperament hat?, sagt der Ehemann
einer Reiterin mit einem schönen Vergleich, ?kann ich auch nicht sagen,
es darf nicht ausschlagen, soll aber andererseits Ausstrahlung haben.?
Daß die Ultra-Szene in jüngster Zeit wieder mit
?Pauschalverurteilungen? von seiten der Politik leben müsse und zum
Teil ins Stadion ?reingepfercht und reingeprügelt? werde, hält er für
absurd: ?Diese Fans zahlen hohe Eintrittsgelder, um sich dann am
Eingang die Unterhosen durchsuchen zu lassen.?
Frank Rost hat im DDR-Fußball bei Lokomotive Leipzig und dem 1. FC
Markleeberg eine ?eher rustikale Ausbildung? genossen, wie er sie
heute, da Jungstars schon nach wenigen Bundesligaspielen vom Trainer
verhätschelt werden, ein wenig vermißt - ohne daß in dieser Sehnsucht
der Ruf nach knallharter Disziplin mitklänge. ?Fußball muß authentisch
bleiben.? Rost kann auch die Angst der Ultras verstehen, ihr Milieu zu
verlieren und durch jüngere Spaßfans an den Rand der Kurve verdrängt zu
werden. Auch dies, sagt der Torwart, sei eine Frage fehlenden Respekts.
Vielleicht kann nur ein Keeper, der die Hälfte des Spiels dicht vor der
eigenen Kurve steht und das Geschehen oft wie ein Zuschauer verfolgt,
die Fußballwelt mit den Augen der Fans sehen.
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