Re: Kampf den Hooligans und Rassisten
Verfasst: 12. Dez 2021, 23:25
s esch aube schad.
NZZ hat geschrieben:NZZ
KOMMENTAR
Es ist schade, dass sich die Fankurven gegen die ID-Kontrolle in Schweizer Fussballstadien stellen
Der Gewaltakt nach dem Zürcher Derby Ende Oktober hat die Sicherheitsdebatte im Schweizer Fussball beschleunigt. Der Entscheid zu personalisierten Tickets wird nun um mindestens sechs Monate hinausgeschoben. Dabei ist die ID-Kontrolle ein verhältnismässig zahmer Eingriff für die Fankurven.
Peter B. Birrer
13 Kommentare
10.12.2021, 16.30 Uhr
Die Fankurven zeigen ihren Unmut über die personalisierten Tickets schon seit Wochen, mit Transparenten und sonstigen Aktionen in den Stadien. Sie fürchten den Verlust ihrer Freiheit und der Anonymität, die ihnen der Aufenthalt in der Kurve bietet. Jetzt haben sie und die Swiss Football League einen Teilsieg errungen. Die kantonalen Sicherheits- und Polizeidirektorinnen und -direktoren verfolgen die Massnahme der ID-Kontrolle beim Stadionbesuch zwar weiter, aber beschlossen ist weiterhin nichts. Abklärungen zur Umsetzung sollen mindestens ein halbes Jahr dauern.
Für die grosse Mehrheit des Publikums wäre die ID-Kontrolle kein Hindernis für den Stadionbesuch.
Doch es geht nicht um die Mehrheit, auch nicht um den Gelegenheitsbesucher, nicht um den Familiensektor. Sondern um die Minderheit, um jenen Teil, der sich in der Fankurve lautstark bemerkbar macht, mit einem Klub durch dick und dünn geht und den Soundtrack für den Fussball liefert, der in der Schweiz nicht von Massen besucht wird. Die VIP-Zone steuert Geld bei, die Fankurve die Stimmung. Die gegensätzlichen Publikumssegmente sind aufeinander angewiesen.
Ohne die Südkurve wären die Heimspiele des FC Zürich gerade im Letzigrund stimmungs- und trostloser. Die Choreografien der Kurven lassen sich in den meisten Fällen sehen, nicht nur in Zürich, auch in Basel, Bern, St. Gallen und Luzern. Die von vielen jungen Menschen bevölkerte Fankurve hat ihre Berechtigung und soll ihren Platz haben. In den meisten Spielen ist nichts oder wenig zu beanstanden, wenn man der Normalität zuordnet, in welch aggressiver und feindseliger Grundstimmung zum Beispiel der durch einen Gitterkorridor geleitete YB-Anhang beim Stadion in St. Gallen eintrifft. Und dort im Sektor Pyro-Material abbrennt, als würden 1. August und Silvester zusammenfallen.
Die Ausschreitungen, die Fackelwürfe in den GC-Sektor nach dem Zürcher Derby Ende Oktober waren zu gravierend, als dass man einfach so zur Normalität übergehen und den Modus Vivendi anwenden könnte. Der da wäre: aufschreien, verurteilen, die Disziplinarkammer der Liga Strafen verhängen und die Südkurve zweimal sperren lassen – und sonst nichts tun. Einfach warten bis zur nächsten Eruption, zum nächsten Aufschrei.
Doch das skandalträchtige Derby hat die Tonalität verstärkt, die Politik sieht sich zum Handeln gezwungen, und dies auf einer geschlossenen Linie. Dabei dreht sich die Debatte weder um Polizeipräsenz in den Stadien noch um eine Sitzplatz-Pflicht, wie sie beispielsweise in der englischen Premier League gang und gäbe ist. Sondern um die Prüfung der Identität für jene, die Fussball schauen wollen.
Es ist schade, dass die Fankurven nicht Hand bieten wollen für einen verhältnismässig kleinen Eingriff in ihre Freiheit. Eigentlich sollten sie sich glücklich schätzen, dass nichts Einschneidenderes diskutiert wird. Würden sie einlenken, würden sie Vertrauen und Anerkennung gewinnen und vor allem (Repressions-)Druck ablassen. Seit dem Derby leidet ihr Ruf. Die Südkurve des FC Zürich hat sich bis heute nicht von den über 60 vermummten Randalierern distanziert, die nach den verübten Taten beim GC-Sektor vor laufender Fernsehkamera in die Südkurve zurückrannten und dort in der Anonymität von der Bildfläche verschwanden.
Anprangern, verurteilen, sich wehren – alles ohne einen Vorschlag für eine Eindämmung, geschweige denn für eine Lösung. Die Kardinalfrage ist: Was ist zu tun, wenn von den personalisierten Tickets auch in einem halben Jahr abgesehen werden sollte? Nichts tun, auf den nächsten Gewaltausbruch warten und abermals zur Jammerei übergehen? Das kann es nicht sein.
Die Sicherheitsdebatte läuft zur Unzeit und setzt neben den Fankurven dem Schweizer Klubfussball generell zu. Corona und beklemmende Geisterspiele sind nicht aus der Welt geschafft, wie Beispiele aus Deutschland und Österreich zeigen. Diese Woche hat die Swiss Football League beschlossen, bis Ende Jahr keine Gästesektoren mehr zu öffnen. Corona drückt auf den Schweizer Fussball, auch ökonomisch. Vieles bleibt ungewiss.
Das gezielte und wenige Minuten dauernde Ausrasten von ein paar jungen Zürcher Gewalttätern erweist dem Schweizer Fussball einen Bärendienst. Als ob er nicht schon genug zu schultern hätte. Mit dem Aufschieben der ID-Kontrolle gewinnt letztlich niemand.