zum kotzen...
Live aus der George-Orwell-Arena
Andreas Hagen 15.02.2005
Internet und RFID machen es möglich: Mit der WM 2006 beginnt im
Fußballsport in ein neues Zeitalter
Bei Sportwetten brach am 1. Februar 2005 eine neue Ära an. Nein, nicht
beim Wettbetrug, sondern bei der Zuteilung von Eintrittskarten: Wetten,
dass Sie es nicht schaffen, ein Ticket für die nächste
Fußballweltmeisterschaft zu ergattern? Mit großem Pomp wurde noch vor
einigen Monaten die erfolgreiche Bewerbung für die Austragung der
Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland gefeiert. Die Stadien
wurden zu Arenen ausgebaut, Bauvolumen über 1,5 Milliarden Euro.
Euphorisierte Fans befinden jedes Spiel der Nationalmannschaft seitdem
als durchaus annehmbar und hoffnungsvoll. Eine gewagte Kreation, welche
an durchgeknallte Ecstasypillen denken lässt, wurde als offizielles
Logo vorgestellt, und der endgültig letzte deutsche Kaiser, Franz
Beckenbauer, sprach das WM-Jahr 2006 heilig.
Bei einer offiziellen Pressekonferenz zur Ticketvergabe sagte der
entscheidende WM-Koordinator zudem eine fünfzigjährige Abstinenz des
wichtigsten Wettbewerbes im internationalen Fußball von Deutschland
voraus. Die letzte Fußball-Weltmeisterschaft hierzulande fand im Jahr
1974 statt. Für die um diesen Zeitpunkt herum Geborenen wird die WM
2006 die erste und wohl auch die einzige sein, welche sie in
Deutschland erleben werden. Die Summe dieser Ereignisse erhöhte nicht
nur Beckenbauers Aura, sie machte auch die Fans noch einmal so richtig
heiß auf ein großes, gigantisches, ja einmaliges Fußballfest.
Doch die gute Stimmung wurde jäh durch die weiteren Worte der
OK-Funktionäre unterbrochen, die mit entschuldigender Mine fortfuhren:
Viele Fans werden leer ausgehen. Was ist geschehen? Der Fußballfan
verraten und verkauft?
--Bis auf das Ticketing geht's uns gut.-- Franz Beckenbauer
Die Deutschen sind ein Volk von Fußballfans. Der Deutsche Fußball Bund
(DFB) ist mit rund 6,3 Millionen Mitgliedern der größte Sportverband
der Welt. Damit vereint er mehr Mitglieder auf sich, als das gesamte
Ruhrgebiet Bewohner hat; die nicht-assoziierten Freunde des runden
Leders sind hier noch außen vor gelassen. Dem entsprechend groß wird
die Nachfrage nach WM-Tickets sein. Gerechnet wird allein aus
Deutschland mit etwa 30 Millionen Bewerbern für das Losverfahren der
Ticketvergabe. Allerdings gehen von ca. 3,3 Millionen Eintrittskarten
nur etwa eine Million an die Fußballfans - und das weltweit. Auch die
zu überwindenden Hürden um an ein Ticket zu gelangen, übersteigen
mittlerweile jede Angst des Torwarts vor dem Elfmeter.
Vorsorglich versuchten die DFB-Verantwortlichen den Schwarzen Peter für
die einmalige Knappheit an Eintrittskarten bei dieser WM der FIFA
(Federation Internationale de Football Association) zuzuschieben. Doch
der Hinweis, dass man deshalb so viele deutsche Fans enttäuschen müsse,
weil die WM 2006 keine DFB-Veranstaltung sei, ist nur teilweise
berechtigt. Auf eigenes Drängen hat der DFB die Ticketvergabe an sich
gezogen, deren Modalitäten nun so unangenehm zum Vorschein kamen. Die
Entscheidung für ein fast vollautomatisiertes Vergabeverfahren ist nur
das eine Problem, entscheidender ist, dass ein Großteil der Tickets gar
nicht in den Handel kommt, sondern für Sponsoren, Verbände und
Funktionäre zurückgehalten wird. Erst so lässt sich die beispiellose
Mangelverwaltung des DFB erklären.
Die verlautbarte Lösung sieht bekanntlich so aus: Sollte es mehr
Vorbestellungen als Karten geben, muss das Los entscheiden. Innerhalb
von vier Zeitfenstern können sich potentielle Kartenkäufer registrieren
lassen. Am ersten Bestelltag, dem 1. Februar 2005, gingen bis um 16.00
Uhr bereits 500 000 Online-Anfragen für die knapp über 800 000 Karten
der ersten Verkaufsphase ein. Vorverkaufsstellen gehören der
Vergangenheit an, das Internet ist zum Hauptvertriebskanal geworden.
Alternativ ist die Zusendung per Fax oder postalisch möglich.
Telefonisch geht außer einer FAQ-Computer-Hotline nichts mehr. Unter
den Bewerbern der ersten und dritten Verkaufsphase wird am Ende der
Registrierungsphasen ein Computer per Zufallsprinzip die Auserwählten
ermitteln. Die Karten der zweiten und vierten Phase werden nach dem
Prinzip "first come, first served" vergeben.
Die dreifache RFID-Klappe: Sicherheit, Betrug und Schwarzmarkt
Einige Wochen vor Beginn der WM am 1. Juni 2006, bekommen die
Glücklichen dann ihre personalisierte Eintrittskarte mit integriertem
RFID-Label und aufgedrucktem Namen zugeschickt. Wer mit Kreditkarte
bezahlen möchte, kann dies nur mit einer "MasterCard" machen, denn das
ist die "Offizielle und Exklusive Karte der FIFA Fußball
Weltmeisterschaft 2006".
Bei einer erfolgreichen Bestellung aus der Türkei (nicht EU-Ausland)
für ein Vorrundenspiel der Kategorie 1, müssen auf den Kartenpreis von
100 Euro noch einmal 25% Zustellgebühren entrichtet werden. Bei einer
Finalkarte der gleichen Kategorie darf der deutsche Fan auf die 600
Euro teuere Karte noch 10 Euro dieser Gebühr dazurechnen. Sollte bei
der Überweisung oder Abbuchung etwas schief gehen, verfällt der
Anspruch auf die Karte ersatzlos, auch ohne schuldhaftes Verhalten des
Bestellers.
Was den Einsatz von elektronischen Medien aller Art betrifft, wird die
WM 2006 von nationalen und internationalen Spotfunktionären als
richtungweisend gepriesen. Von der Kameraüberwachung innerhalb und
außerhalb der Arenen braucht hier nicht mehr gesprochen zu werden, sie
ist obligatorisch; genauso wie das Verbot, private Bild- oder
Tonaufnahmen ohne Genehmigung kommerziell zu verwerten. Neu ist aber
das uneingeschränkte Einverständnis der eigenen Verwertbarkeit:
--Jeder Ticketinhaber willigt unwiderruflich und für alle gegenwärtigen
und zukünftigen Medien ein in die unentgeltliche Verwendung seines
Bildes und seiner Stimme für Fotografien, Live-Übertragungen, Sendungen
und/oder Aufzeichnungen von Bild und/oder Ton, die vom OK oder dessen
Beauftragten in Zusammenhang mit der Veranstaltung erstellt werden.--
Artikel 8, Allgemeine Ticket-Geschäftsbedingungen, FIFA
Doch die Möglichkeiten der Datenverwertung und persönlichen
Identifizierung ergeben sich schon weit vor dem eigentlichen Event. Der
Schalterverkauf ist passé, und bei der Bestell-Registrierungs-Prozedur
sind nicht nur persönliche Daten wie Name, Adresse und Geburtsdatum
anzugeben, auch die Personalausweisnummer muss eingetragen werden.
Selbst welchem Team man sein Herz schenken mag, scheint interessant zu
sein: Bei den herunterladbaren Formularen für die Faxbestellung darf
man seine Vorlieben eintragen oder alternativ auch ein
"neutral"-Kästchen ankreuzen. Da jede Person pro Spiel bis zu vier
Tickets bestellen kann, gilt das gleiche Prozedere natürlich für alle
potentiell Beteiligten. Man muss also seine Daten zwangsläufig schon
hier anderen offenbaren.
Begründet wird die offizielle Daten-Blutgrätsche mit der besseren
Identifizierung von Hooligans, gefälschten Tickets und auch einem
möglichen Schwarzmarkt soll schon im Vorfeld das Wasser abgegraben
werden. Wer könnte dagegen ernsthaft etwas haben? Angesichts der
vorhandenen Alternativen muss dafür aber einiges erduldet werden. So
ist die Frage nach der genauen Verwendung der personenbezogenen Daten
bis heute nicht ganz geklärt. Mit dem Ticketing ist die Firma CTS
Eventim, eine an der Deutschen Börse notierte Gesellschaft, betraut
worden.
Bei wem bleibt die Datenflut hängen?
Zeitweise kommen viele Millionen Datensätze in den Besitz dieser Firma,
was nicht nur eine Frage der informationellen Selbstbestimmung des
Einzelnen ist, sondern im Zeitalter des Adresshandels auch eine
handfeste ökonomische Größe. Die Daten derjenigen, die leer ausgehen,
würden umgehend gelöscht, so der Ticketvermarkter. Was mit den Daten
der zukünftigen Karteninhaber geschieht, bleibt widersprüchlich. Der
Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung und Verbraucherschützer
legten Widerspruch gegen die Erhebung ein, vor allem im Zusammenhang
mit der Personalausweisnummer. Laut Bundesdatenschutz-beauftragten
bedarf die weitere Verwendung der Zustimmung der Betroffenen, was nicht
ganz mit den datenschutzrechtlichen Bestimmungen des Ticketvermarkters
in Einklang zu sein scheint:
--Die CTS EVENTIM AG bearbeitet Ihre personenbezogenen Daten unter
Einhaltung der auf den Vertrag anwendbaren Datenschutzbestimmungen. Die
Daten (beispielsweise Name, Adresse, E-Mail, Telefonnummer etc.) werden
von ihr in dem für die Begründung, Ausgestaltung oder Änderung des
Vertragsverhältnisses erforderlichen Umfang im automatisierten
Verfahren erhoben, verarbeitet und genutzt werden. Die CTS EVENTIM AG
ist berechtigt, diese Daten an von ihr mit der Durchführung des
Kaufvertrages beauftragte Dritte zu übermitteln, soweit dies notwendig
ist, damit die geschlossenen Verträge erfüllt werden können.
Solange der Kunde nicht widerspricht, ist die CTS EVENTIM AG sowie ggf.
ihr Co-Branding-Partner, von dessen Website der Kunde ihren Shop
aufgesucht hat, darüber hinaus berechtigt, die erhaltenen Daten zur
Beratung des Kunden, zur Werbung, zur Marktforschung für eigene Zwecke
und zur bedarfsgerechten Gestaltung ihrer Angebote zu erheben, zu
verarbeiten und zu nutzen. Diese Einwilligung kann von Ihnen jederzeit
ohne Angabe von Gründen widerrufen werden.-- Artikel 4/1-2,
Datenrichtlinien, CTS Eventim AG
Ob die Daten tatsächlich ohne Zustimmung weiterverwendet werden oder ob
dies der Zustimmung des Betroffenen bedürfte, ist hieraus für den
Kunden nicht zu entnehmen. Undeutlich ist auch das Bild, welches die
Verantwortlichen von dem auf dem RFID-Label gespeicherten Inhalt
zeichnen. Der auf das Ticket gedruckte Name kann und soll jedenfalls
mit dem Personalausweis abgeglichen werden, der zur Veranstaltung
mitgeführt werden muss:
--(...) Das OK ist berechtigt aber nicht verpflichtet, beim Zutritt zum
und auch im Stadion die Identität des Ticketinhabers zu überprüfen
(Lichtbildausweis und Unterschrift).-- Artikel 2, Allgemeine
Ticket-Geschäftsbedingungen, FIFA
Auf dem Chip selbst dagegen seien nur "Zutrittsinformationen"
gespeichert. Dass beides, persönliche Daten und RFID-Daten, in
Verbindung gebracht werden kann muss zwangsläufig geschehen. Die
Datenspeicherung beim Registrieren und dem darauf folgenden
Personalisierungsprozess braucht einen Abgleich. Es kann sich damit
nicht um ein vollständig anonymes System handeln, vor allem wenn eine
wirksame Kontrolle sichergestellt werden soll:
--Zur Kontrolle der Einlassberechtigung werden für alle Spiele der FIFA
Fußball-Weltmeisterschaft 2006(tm) elektronisch gesteuerte Drehsperren
mit Leseeinheiten zur Identifizierung der chip-basierten Tickets
verwendet. Der RFID-Chip beinhaltet keine personenbezogenen Daten. Um
eine reibungslose Kontrolle am Stadioneingang zu gewährleisten, werden
die notwendigen Daten (auch personenbezogene) aus dem Ticketsystem
verschlüsselt in das Zugangskontrollsystem des jeweiligen Stadions
übertragen (...). Der Chip ist der Schlüssel zu diesen Daten und dient
dem Abgleich mit den Daten der Zugangskontrolle. Sobald der
Ticketinhaber die Drehsperre passiert hat, wird auf dem Chip der
Zutritt registriert.-- Datenschutzbestimmungen, FIFA
Fußball-Weltmeisterschaft 2006
Auch im Fall einer nicht beim OK beantragten und genehmigten
Ticketübertragung auf eine andere Person, was einen Verstoß gegen die
Geschäftsbedingungen darstellen würde, können die Organisatoren das
Ticket sperren. Der Sperrvorgang erfolgt auch elektronisch, und soll
dem Besitzer des Tickets den Zutritt zum Stadion zu verweigern bzw. ihn
des Stadions verweisen. Hier scheint eine Verbindung von Person und
Information auf dem RFID-Chip unerlässlich zu sein.
Vielleicht ist die ganze Aufregung um das RFID-Label aber auch umsonst.
Der Ticketvermarkter CTS Eventim setzt nach eigenen Aussagen in Zukunft
eher auf das Ticket per Handy als auf die flächendeckende Ausbreitung
der RFID-Technik beim Ticketing von Großveranstaltungen. Wenn dem so
ist, dann wird die Fußball-WM 2006 nur ein großer und gutbezahlter
Feldversuch bleiben. Unvorhersehbare Probleme, wie das der im
Bestellzeitraum ablaufenden Personalausweise, werden identifiziert und
bewältigt. Die Auswertung eines solchen Versuchs bringt unschätzbare
Informationen zutage, die teueren Risiken, Mühen und unklaren
Vertragsverhältnisse bleiben beim Fußball-Fan hängen: Stark
eingeschränktes Umtauschrecht, kein Übertragungsrecht, keine Rückgabe
der Tickets. Das Fazit über die Fußball-WM 2006 in Deutschland kann
schon jetzt gezogen werden: Einen schlechteren Kaufvertrag - diesseits
des Gesetzes - sind die Kunden hierzulande wohl noch nie eingegangen.
Telepolis Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/r4/artikel/19/19407/1.html
Copyright © Heise Zeitschriften Verlag
Liiribox
Nur angemeldete User dürfen liiren.
Live aus der George-Orwell-Arena
War ja schon in Portugal so, dass nur ein kleiner Teil der Tickets in den Verkauf geht.
Warn beim Spiel Russland - Griechenland. Am Stadion bekam man anfangs noch Tickets für die Haupttribüne. Diese waren aber schnell vergriffen. Somit war das Stadion ausverkauft und man bediente sich einem Schwarzmarkt-Ticket. Im Stadion stellte man aber fest, das noch zig hundert Plätze frei gewesen sind. Kann mir das nur so erklären, dass Sponsoren Tickets verteilen und wenn man dann eben keine Lust hat das geschenkte Ticket zu benützen geht man halt einfach nicht und der Sitz bleibt leer.
Portugal war das erste und letzte Turnier dieser Art für mich.
Warn beim Spiel Russland - Griechenland. Am Stadion bekam man anfangs noch Tickets für die Haupttribüne. Diese waren aber schnell vergriffen. Somit war das Stadion ausverkauft und man bediente sich einem Schwarzmarkt-Ticket. Im Stadion stellte man aber fest, das noch zig hundert Plätze frei gewesen sind. Kann mir das nur so erklären, dass Sponsoren Tickets verteilen und wenn man dann eben keine Lust hat das geschenkte Ticket zu benützen geht man halt einfach nicht und der Sitz bleibt leer.
Portugal war das erste und letzte Turnier dieser Art für mich.
IM stadion schon..Schmedi hat geschrieben:Portugal war das erste und letzte Turnier dieser Art für mich.

L U C E R N E - Till I Die!
Kämpfe Lozärn, Kämpfe Lozärn!
mer wend Euch gwönne gseh!
Kämpfe Lozärn, Kämpfe Lozärn!
mer wend Euch gwönne gseh!
Master (am Do 20. Okt 2005 22:24 ) hat geschrieben:ich sage immer das gleiche.. dass er dem verein helfen wird, davon bin ich überzeugt!
dass er der fanszene schaden wird, davon bin ich genau so überzeugt! aber ich hoffe wir werden das überstehen!