Verfasst: 18. Jul 2007, 10:47
18. Juli 2007, Neue Zürcher Zeitung
Der FCZ im Zwiespalt
Zwischen Meister-Glück und Europa-Visionen – der Stadtklub vor wegweisenden Wochen
Heute Mittwoch beginnt mit der Partie Grasshoppers - St. Gallen die neue Super-League-Saison. Am Wochenende greifen die weiteren acht Mannschaften erstmals ins Geschehen ein. Die NZZ stellt Entwicklungen und Aussichten aller zehn Vereine vor.
Die Super League vor der Saison 2007/08
tre. Gelegentlich ist es im Fussball wie im normalen Leben: Ewige Treue existiert (fast) nur auf dem Papier. Diese Erfahrung musste unlängst der FC Zürich machen. Kaum war im Mai – nach der erfolgreichen Titelverteidigung – der letzte Schluck Champagner getrunken und hatten alle Exponenten des Stadtklubs nochmals betont, wie schön es doch in Zürich sei, löste sich das meisterliche Fundament in Luft auf. Nachdem Dzemaili und Margairaz den ausländischen Verlockungen schon frühzeitig erlegen waren, packte auch der dritte Schweizer Internationale im FCZ-Mittelfeld (Inler) seine Siebensachen, verabschiedete sich der Trainer Favre auf Französisch nach Berlin und fasste sogar der Assistent (Gämperle) höhere Ziele ins Auge (und folgte seinem Chef in die deutsche Hauptstadt). An der Limmat zurückgeblieben sind die Ernüchterung von Sportchef Bickel und die – allerdings nicht neue – Erkenntnis, dass die beschauliche Welt des helvetischen Fussballs selbst im Jahr vor der Euro 2008 für die ganz grossen Träume keinen Platz bietet.
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Kein Dzemaili-Nachfolger gefunden
Trotzdem hat der FC Zürich auch in der neuen Saison das Potenzial, die Massstäbe zu setzen. Zwar vermisst der neue Trainer Bernard Challandes eine echte Nummer 6 – und damit einen Spieler, der sich im Stile von Dzemaili oder Inler im Mittelfeld in die Zweikämpfe stürzt und den Gegnern quasi den Rasen unter den Füssen wegzieht –, doch punkto technischer Souplesse und spielerischer Klasse steht auch der «neue» FCZ wohl weiterhin über der nationalen Konkurrenz. Der tunesische Internationale Yassine Chikhaoui könnte nicht nur aufgrund seiner Körpergrösse (189 cm) zu einer der dominierenden Figuren der Super League werden. Denn seine (in den Testspielen angedeuteten) Fertigkeiten am Ball liegen weit über dem hiesigen Standard. Und auch die weiteren Zugänge im Aufbau des Meisters, der nigerianische Internationale Onyekachi Okonkwo (genannt «Tico») sowie der frühere Thuner Champions-League-Held Silvan Aegerter, stehen eher für grazile Spielkunst als für sportliche Abbrucharbeit. Und selbst Eric Hassli, der auch schon als «schlampiges Genie» bezeichnete französische Stürmer, trägt neben einer furchteinflössenden physischen Präsenz (193 cm) ein hohes Mass an technischen Qualitäten zum Spiel des Meisters bei und ist so wohl nur oberflächlich betrachtet ein echtes Gegenstück zu den brasilianischen Ballkünstlern Raffael und Cesar.
Paradoxerweise könnte aber genau diese Massierung an individueller Klasse einer Weiterentwicklung des Titelhalters im Weg stehen (und den Zugang zum grossen internationalen Geschäft verbauen). Denn wenn Challandes sagt: «Wir spielen, um zu spielen», spricht er ungewollt das grösste Manko in seinem neuen Arbeitsumfeld an. Zwar lassen Absatztricks, Jonglier-Einlagen und Klein-Klein-Kombinationen die Herzen aller Fussball-Ästheten höher schlagen und rauben der Konkurrenz aus Thun, Aarau und Luzern den Atem. Doch sie ebnen eher den Weg ans Zirkusfestival von Monte Carlo als in die Champions League. Das weiss man in Zürich aus erster Hand – seit der Stadtklub vor Jahresfrist (in der Vorqualifikation zur Meisterliga) den österreichischen Titelhalter aus Salzburg nach allen Regeln der Fussballkunst ausgespielt hatte, letztlich aber an sich selber hängengeblieben war.
Ein undankbarer Orientierungspunkt
Und trotzdem hat Präsident Ancillo Canepa das Erreichen der europäischen Königsklasse etwas grossspurig zum Ziel erklärt. Damit folgt er zwar der branchenüblichen Gesetzmässigkeit, die das Formulieren von spektakulären Visionen quasi zum Standard macht, er liefert seinen Angestellten damit aber einen Orientierungspunkt, der von Schweizer Mannschaften nur unter optimalen Bedingungen im Auge zu behalten ist – mit Los- und Wettkampf-Glück sowie zwei Topleistungen im entscheidenden Moment.
Auch wenn es Challandes nicht zugeben will («Für uns zählen jetzt nur der Start zur Meisterschaft und das Spiel in Basel»), sind die Qualifikationspartien zur Champions League Mitte bzw. Ende August die beiden wichtigsten Wegmarken des FC Zürich der gesamten Saison. Sie entscheiden, ob der Stadtklub die Zürcher Fussball-Euphorie noch eine Stufe höher tragen und im September unter ganz speziellen Bedingungen in das neue Letzigrundstadion einziehen kann. Sie klären nachhaltig, ob der Schweizer Meister auch wirtschaftlich eine Stufe höher steigt und ob Spieler wie Raffael, Cesar, Chikhaoui oder Tico nicht schon im September von einem anderen Arbeitgeber träumen.
Sechs Ausländer in der Startformation
Der Blick auf die Mannschaftszusammensetzung anlässlich der Saison-Hauptprobe vom vergangenen Samstag gegen Leverkusen macht deutlich, dass die Verantwortlichen auf dem Weg zum grossen Ziel sogar bereit sind, die Erfolgsstrategie der letzten Jahre auszublenden und die Jugend vorderhand in die Warteschlaufe zurückzusetzen. Aus dem eigenen Nachwuchs figurierte gegen den Bundesligaklub nur der Verteidiger Stahel in der Startformation. Abdi (in der letzten Saison ein Mann der ganz wichtigen Tore und einer der besten Freistoss-Schützen im Team) sass ebenso auf der Bank wie Barmettler. Schönbächler, Staubli und Gashi fehlten ganz im Aufgebot. Auf dem Feld standen sechs Ausländer – so viele wie kaum einmal in der Ära Favre. Damit macht Challandes klar, wem er in der ersten Saisonphase das Vertrauen schenkt – den älteren, arrivierten und routinierten Spielern. Vor dem Hintergrund der letztjährigen Bauchlandung gegen Salzburg ist das nachvollziehbar. Doch es birgt auch ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotenzial. Denn wenn Challandes sagt: «Der FCZ muss bescheiden bleiben», steht das in einem relativen Widerspruch zur neuen Wahrheit hinter den Kulissen.