Die Gewalt wird immer brutaler»
Hooligans
Randaliert wird vor allem bei Auswärtsspielen. Stadionverbote könnten dies nicht verhindern, sagt Hooliganexperte Gunter A. Pilz und zeigt Lösungen auf.
«Die Polizei allein nützt nicht viel, denn Gewalt erzeugt Gegengewalt.»
Gunter A. Pilz, Hooligan-Experte
Interview Jan Flückiger
jan.flueckiger@luzernerzeitung.ch
Gunter Pilz, in letzter Zeit mehren sich die Ausschreitungen am Rande von Fussballspielen. Nimmt die Anzahl solcher Gewaltdelikte generell zu?
Gunter A. Pilz*: Dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen. Was man aber sagen kann, ist, dass die Gewalt immer brutaler und enthemmter wird. Die Täter kennen keine Grenzen, es werden auch Frauen und Kinder zu Opfern.
Früher haben sich die Hooligans also nur untereinander geprügelt?
Pilz: Man muss zuerst mal unterscheiden zwischen Hooligans und Ultras. Für die klassischen Hooligans war der Fussball immer schon nur ein Vorwand, um ihre Gewaltbedürfnisse auszuleben. Hooligans verabreden sich ja auch ausserhalb von Grossanlässen zu Schlägereien. Dort gilt aber ein Ehrenkodex: Man prügelt sich nur unter seinesgleichen. Und wenn jemand wehrlos am Boden liegt, wird nicht mehr nachgetreten.
Und die so genannten Ultras?
Pilz: Die Ultras haben einen starken Bezug zu ihrem Fussballcub. Sie verstehen sich als Hüter des traditionellen Fussballs und wehren sich gegen die Kommerzialisierung des Sports. Wir stellen aber fest, dass sich immer mehr Ultras der Gewalt zuwenden. Und die Gewalttätigen werden immer jünger.
Ist denn jeder Ultra ein potenzieller Gewalttäter?
Pilz: Nein. Es sind immer noch weniger als 10 Prozent der Ultras wirklich gewaltbereit. Das grosse Problem ist aber, dass es ihnen gelingt, dass sich die restlichen 90 Prozent mit ihnen solidarisieren. Die Ultras verbindet ein gemeinsamer Hass gegen die Polizei. Sobald die Polizei eingreift, stehen sie zusammen. Der Hass gegen die Polizei unterscheidet die Ultras übrigens ebenfalls von den Hooligans.
Hooligans mögen Polizisten?
Pilz: Für die Hooligans sind die Polizisten keine Provokation, sondern eine Aufwertung. Sie freuen sich auch auf die Auseinandersetzung mit den Polizisten. Das macht es für die Polizei auch unglaublich schwierig, wenn beide Gruppen zusammen anwesend sind.
Ob Hooligans oder gewalttätige Ultras, was treibt diese Leute an?
Pilz: Es gibt grundsätzlich zwei Sorten. Die meisten sind junge Menschen, die eher am Rande der Gesellschaft leben. Sie haben ein niedriges Bildungsniveau und erleben im Alltag viele Misserfolge. Es wird ihnen ständig gesagt, was sie alles nicht könnten. Sie kompensieren dies, indem sie andere zusammenschlagen. Wenn andere vor ihnen Angst haben, steigert das ihr Selbstwertgefühl.
Und wer sind die anderen?
Pilz: Das sind Akademiker oder Studenten, mehrheitlich aus reichen, gut behüteten Familien. Ihnen geht es um den Kick, den Nervenkitzel. Sie empfinden ihren Alltag als zu wenig spannend, ohne Risiko. Sie berauschen sich an der Gewalt. Zu dieser Gruppe gehören auch Ärzte und Banker, sogar Rechtsanwälte.
Was kann man dagegen tun?
Pilz: Den Leuten, die eher zu den Verlierern gehören, muss man mehr Zukunftsperspektiven geben. Alternative Möglichkeiten, ihr Selbstwertgefühl aufzubauen.
Das geht nicht von heute auf morgen. Welche kurzfristigen Massnahmen können helfen? Sind es Stadionverbote?
Pilz: Stadionverbote sind wirkungsvoll, um die Gewalt in den Stadien zu verhindern. Allerdings verlagert sich das Problem dann einfach in den Bereich rund ums Stadion. Diejenigen, die Stadionverbot haben, gehen trotzdem mit an Auswärtsspiele und machen einfach vor und nach dem Spiel Krawall. Am Spiel selber machen sie dann Pause. Der Grossteil der Gewalt findet sowieso an Auswärtsspielen statt. Da geht es darum, zu markieren, dass man die gegnerische Stadt «eingenommen» hat.
Wie kann man die Gewalt ausserhalb des Stadions eindämmen? Mit Hunderten von Polizisten?
Pilz: Die Polizei allein nützt nicht viel, denn Gewalt erzeugt Gegengewalt. Gerade weil sich die Ultras untereinander solidarisieren. Das Wichtigste ist es, die eigentlich friedlichen Ultras in die Verantwortung zu nehmen.
Wie macht man das am besten?
Pilz: Ich gebe Ihnen ein Beispiel, wie wir in Hannover grosse Erfolge erzielt haben. Wenn ein Auswärtsspiel bevorsteht, kriegen der Gastverein und seine Anhänger einen Brief. Der geht auch an die einschlägigen Fangruppierungen. In dem Brief steht, dass die Gästefans nicht mit einer Hundertschaft von Polizisten empfangen werden, diese aber bereit sind, falls etwas passiert. Es steht auch genau drin, was erlaubt ist und was nicht.
Und das nützt?
Pilz: Natürlich bleibt es nicht bei dem Brief. Bei der Ankunft werden die Fans von so genannten Konfliktmanagern empfangen. Das sind Polizisten, in Zivil beziehungsweise normaler Uniform, die orangefarbene Jacken tragen, auf denen gut sichtbar «Polizeiliches Konfliktmanagement» steht, sodass sie sofort erkennbar sind. Sie begleiten die Fans zum Stadion. Sobald etwas passiert, nehmen sie den Dialog auf. Sie machen klar, dass die Polizei bereitsteht, geben der Gruppe aber eine gewisse Zeit, den Konflikt selber zu regeln.
Helfen denn gut gemeinte Worte gegen diejenigen, die Gewalt suchen?
Pilz: Diejenigen, die wirklich gewalttätig sein wollen, kann man natürlich nicht bremsen. Die schlimmsten Übeltäter kennt man aber meist schon vorher und versucht sie von Anfang an zu isolieren. Das Wichtigste ist, die friedlichen Fans daran zu hindern, sich mit den Krawallmachern zu solidarisieren.
Und das funktioniert?
Pilz: Seit wir das in Hannover praktizieren, brauchen wir viel weniger Polizisten. In vielen Fällen nützt bereits die Warnung. Und wenn die Situation trotz der Vorwarnung der Konfliktmanager eskaliert, dann ist der Polizeieinsatz sehr viel effizienter. Erstens kennt man dann die Übeltäter schon, und zweitens findet keine Solidarisierung der anderen Fans statt. Auf diese Weise haben wir in Hannover heute an Hochrisikospielen nur noch 250 statt 800 bis 1000 Polizisten im Einsatz.
* Gunter A. Pilz ist Soziologieprofessor und einer der führenden Fanforscher in Deutschland. Am 25. August tritt er in Luzern am Sicherheitspolitischen Forum Zentralschweiz auf. Das Thema der Tagung, an der auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga auftritt, ist die öffentliche Sicherheit. Ort: Hotel Schweizerhof, Luzern. Zeit: 13.30 bis 17.45 Uhr. Eintritt: 30 Franken. Mehr Informationen:
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Quelle: NLZ