Rechtsdrall am Ball
Rechtsextremismus in Europas Stadien – in Rom mischt mit Paolo Di Canio einer mit ähnlichem Gedankengut den Calcio auf
VON OLIVER MEILER
ROM Wenn er sich im Torjubel das Trikot vom Thorax reisst, die Augen weit offen, kommen Tätowierungen zum Vorschein. Eine ganze Menge davon. Eine aber, die auf dem Bizeps des rechten Arms, zieht den Blick unweigerlich mehr an als alle anderen: « DUX » steht da von oben nach unten geschrieben, das ist lateinisch für Duce, Führer. Gemeint ist Mussolini. Bei der Kontraktion des trainierten Muskels wölben sich die drei Buchstaben dramatisch nach aussen. So mag es Paolo Di Canio, Römer, 36 Jahre alt, ein Fussballerleben lang Nomade. Er gefällt sich in der Rolle des harten Jungen, ein Image, das er sich über die Jahre verdient hat.
Nun, im Herbst seiner Karriere, spielt der Stürmer noch einmal für seinen Leibesklub, den er als Teenager als Ultrà zu verteidigen pflegte: Lazio Rom. Seine Adrenalinschübe sind legendär. Im ersten Saisonspiel gegen Sampdoria Genua riss er seinem Kollegen Simone Inzaghi den Ball aus den Händen und brüllte ihn an. Es waren nur noch ein paar Minuten zu spielen, und Inzaghi hatte sich aufgemacht, einen Penalty zu treten, einen spielentscheidenden. So wars ausgemacht gewesen. Doch Di Canio setzte sich über die Anweisung des Trainers hinweg, legte sich den Ball hin, schoss, traf, riss sich das Trikot vom Leib, legte seines Tattoos frei. Man habe sich darauf wieder versöhnt, sagt Di Canio, und einen Pakt geschlossen, sich fortan abzuwechseln. Und wenn Inzaghi just beim Derby gegen die AS Roma dran sei, fragten die Journalisten: « Dann verpass ich ihm einen satten Kopfstoss, dass er raus muss » , sagte Di Canio und fügte an, « das war nur ein kleiner Scherz. »
Den Hartgesottenen gefällts, Di Canio ist die Symbolfigur von Lazio
So führte er sich ein. Den hartgesottenen Laziali gefiels. Di Canio ist nun die Symbolfigur des Klubs, und selbst im hohen Fussballeralter gilt er als dessen Hoffnungsträger. Lazio musste im Sommer unter der Last horrender Vereinsschulden das halbe Kader verkaufen und die Löhne kürzen, manche gar halbieren.
Der neue Präsident des Vereins, Claudio Lotito, ein Römer Reinigungsunternehmer, strich alle Gratistickets. Den Vereinsärzten beschied er, wenn sie Laziali DUX auf dem Bizeps und rechtsradikales Gedankengut: Lazios Paolo Di Canio ( links) referiert mit Teamkollege Sereni FOTO: EQ IMAGES
seien, dann sollen sie ihren Dienst gefälligst unentgeltlich verrichten oder gehen. Eingekauft hat er nur Schnäppchen, zehn Spieler in den letzten zehn Minuten des Transfermarktes, als die Preise zusammengefallen waren. Das war früher anders. Ex- Präsident Cragnotti warf nur so um sich mit Geld. Bis das Loch in der Kasse so tief war, dass der Verein eigentlich hätte Konkurs anmelden müssen.
Ein italienisches Wunder hielt ihn am Leben. Und Di Canio kam die Aufgabe zu, den Rumpf zu animieren, die notdürftig zusammengewürfelte Mannschaft zu inspirieren. Schnell ist er nicht mehr, aber ein furioser Kämpfer. « Zwei, drei geniale Pässe pro Spiel » – das ist seine Ambition. Für Lazio spielte er schon einmal, 1988 bis 1990. Memorabel bleibt sein Tor im ersten Derby, und vor allem die Szene danach: Für den Torjubel wählte er die Curva Sud, die Kurve der Romanisti – ein Sakrileg. Danach zog es ihn nach Turin zu Juventus, dann nach Neapel und schliesslich zur AC Milan. Sein Spielernaturell aber passte besser auf die Insel: Di Canio heuerte beim schottischen Klub Celtic Glasgow an, wechselte dann in die Premier League, zuerst Sheffield, dann West Ham, am Ende Charlton.
1998, noch bei West Ham, wurde er für elf Spieltage gesperrt, weil er den Schiedsrichter umgestossen hatte. In England hielt man ihn eingangs für einen Verrückten, dann wurde er einmal zum besten Spieler der Liga gekürt. Kultstatus hat die Szene erreicht, die nun auch vom italienischen Fernsehen regelmässig wiederaufbereitet wird, in der er im Strafraum frei zum Schuss kommt, jedoch plötzlich innehält und den Ball ins Seitenaus befördert, weil sich ein Gegner verletzt am Boden windet. Auch das war in England. In Italien, wo man etwas weniger auf Fairplay hält, hätte er wohl geschossen.
So wuchs die Legende um Di Canio. Vor vier Jahren schrieb der Sohn einer Römer Vorstadt seine Autobiografie, die sich allein in England 100 000- mal verkaufte. Und schon darin hält er mit seinen politischen Ideen nicht hinter dem Berg. Dem « Corriere della Sera » erzählte er nun, dass er Mussolini für den grössten Politiker aller Zeiten hält, dass der genau für jene Werte eingestanden sei, die ihm, Di Canio, wichtig seien: der Staat, die Nation, das Vaterland. Am liebsten liest Di Canio Biografien des Duce. Früher, sagt er, seien die hauptsächlich von linken Historikern abgefasst worden und dementsprechend tendenziös. Mit anderen Worten: tendenziell kreuzfalsch. Nun gebe es glücklicherweise auch andere. Di Canio hat ein Faible für Alessandra Mussolini, die Enkelin des Faschistenführers und selber auch Politikerin. Die habe es geschafft, ein paar rechte Parteien zusammengeführt zu haben.
Mit seinen politischen Vorlieben findet Di Canio offene Türen
Er hätte auch « rechtsradikal » sagen können. Forza Nuova etwa gehört dazu, eine rassistische, schwulenfeindliche, ausserparlamentarische Partei. Mit seinen politischen Vorlieben rennt Di Canio offene Türen ein: Forza Nuova bestimmt mittlerweile nicht mehr nur die Schlachtrufe der « unbeugsamen » Laziali, sondern auch die der nicht minder radikalen Cousins von der AS Roma. Da kommt es schon mal vor, dass die einen den anderen auf Transparenten im Stadion « ein Ende in den Öfen von Auschwitz » wünschen. Freilich, Di Canio distanziert sich von solch pseudoideologischen Auswüchsen. Dafür hat er zu viel gelesen, ist er zu viel schon gereist. Dann aber sagt er wieder: « Dieses Trikot macht mich stark, furchtlos, es flösst mir Treue, Respekt und Disziplin ein. » Man hört einen anderen reden.
Nun träumt Di Canio davon, dass sein Leben verfilmt wird. Als Einstieg würden sich die fünf letzten Minuten im letzten Meisterschaftsspiel eignen, da waren alles drin: Stadio Olimpico, Rom, Lazio gegen Bologna, 85. Minute, 1: 1, Elfmeter für die Römer. Di Canio, eben erst eingewechselt, war dran, Inzaghi verkroch sich. Tor, 2: 1, Leibchen weg, « DUX » im Fokus der Kameras. Und dann gabs noch zwei rote Karten in der Nachspielzeit: Di Canio hatte sich mit dem Albaner Tare von Bologna gebalgt. Die Römer Zeitung « La Repubblica » aber titelt, nach dem 2: 1- Sieg synthetisch: « Di Canio weckt Lazio. » Das ist sein Job.