Der FCL hat den absoluten Tiefpunkt erreicht: Auch unter
Roberto Morinini ist keine Tendenz zur Besserung
ersichtlich. Gerardo Seoane (29) macht das zu schaffen.
V ON PE T E R B I R R E R
Am 17. August stellte der FC Luzern seinen neuen Trainer vor. Roberto
Morinini sollte anstelle des entlassenen Ciriaco Sforza die Mannschaft wieder auf Kurs bringen. Er stellte als Erstes das System um, weil er fand, dass drei statt vier Verteidiger für dieses Kader
geeigneter seien.
Nach zehn Runden muss festgestellt
werden: Der FCL ist keinen Deut vorwärtsgekommen.
Wie sich die Luzerner am Sonntag präsentierten, war erschreckend:
Es herrscht kein Leben in einem Team, das keine Persönlichkeiten hat.
Zibung hat nicht die Form der letzten Saison; Schwegler ist ein Schatten seiner selbst; Renggli ist bei weitem nicht der Renggli, wie ihn der FCL zu bekommen glaubte; Ferreira hat noch keinen vernünftigen Match zu Stande gebracht; von Frimpong war in Vaduz nichts zu sehen, bis er ausgewechselt wurde. Die Liste könnte beliebig fortgeführt
werden.
Gerardo Seoane sass am Sonntag aufder Tribüne, er war gesperrt. Als Schluss war, vergrub er sein Gesicht in den Händen. Das 0:1 im Rheinpark war ein schwerer Schlag auch für ihn, obwohl er
nicht direkt Einfluss nehmen konnte.
Gerardo Seoane, Sie haben in Vaduz die
Perspektive eines Fans gehabt: Sie
mussten dem FC Luzern zuschauen. Und
Sie haben augenscheinlich gelitten wie
ein Fan.
Gerardo Seoane: Nach dem Abpfiff
fühlte ich mich, als hätte ich selber
gespielt. Aufgrund der Chancen, die wir
vergeben haben, verschlimmerte sich
mein Gefühl zusätzlich.
Verstehen Sie den Frust der Fans?
Seoane: Natürlich! Aber jeder Fan
muss mir glauben: Keiner kann mehr
enttäuscht sein als ich selber. Wir
müssen uns für das, was wir in den
ersten zehn Runden punktemässig erreicht
haben, schämen. Etwas anderes
kann ich dazu nicht sagen.
Zwei Punkte in zehn Spielen …
Seoane: … das ist
indiskutabel. Aber
das wissen wir Spieler
selber auch. Ich
werde von Fans oft
angesprochen und
gefragt, woran es
liegt.
Und was antworten
Sie?
Seoane: Ich weiss
es nicht. Es ist mir
unerklärlich. Vielleicht
wären im Abstiegskampf
andere
Tugenden gefragt
wie Kampf. Und eine
einfachere Spielweise.
Also zurück zu einem 4:4:2-System?
Seoane: Das ist eine Möglichkeit,
die sich in der Rückrunde der vergangenen
Saison bewährt hat.
Grundsätzlich ist es aber Sache des
Trainers, wen er wo aufstellt. Wir
Spieler stehen in der Pflicht, Leistungen
zu bringen und Punkte zu holen.
Unabhängig vom System sind im Abstiegskampf
Tugenden wie Leidenschaft
und Engagement grossgeschrieben.
Wir können uns keine Unachtsamkeiten
leisten, sonst wird das
umgehend bestraft. Glauben Sie mir,
ich beschäftige mich rund um die
Uhr mit der Frage: Was können wir,
was müssen wir besser machen?
Liegt es nicht daran, dass dieser Mannschaft
Persönlichkeiten fehlen?
Seoane: Ich höre oft, wie die Leute
sagen, dass früher in einer solchen
Situation alles anders gelaufen wäre.
Ein Roger Wehrli habe vor Jahren im
Training mal einen Kollegen am Kragen
gepackt oder so. Aber was soll das?
Heute geht man anders miteinander
um. Unsere Mannschaft ist intakt. Aber
jeder Spieler muss den Ernst der Lage
spätestens jetzt erkannt haben. Wenn
das nicht der Fall ist, müssen wir ihn an
der Ehre packen.
Mangelt es nicht
merklich an der Identifikation
der Spieler
mit dem Verein?
Seoane: Noch einmal:
Die Lage des
FCL lässt mich in
keiner Sekunde los.
Ich kann an einem
Montag nicht ins Kino
oder zum Nachtessen
in die Stadt,
weil ich mich schäme.
So müsste es jedem
gehen.
Tut es das auch wirklich?
Seoane: Ich weiss
es nicht. Ich kann es nur hoffen. Es gibt
Spieler, die pflichtbewusster sind als
andere.
Wer verliert, dem wird nicht gerne
zugeschaut. Weniger Zuschauer bedeuten
aber auch weniger Einnahmen.
Interessiert das die Spieler überhaupt?
Seoane: Natürlich! Der Präsident ist
kürzlich in die Kabine gekommen und
hat uns die Lage geschildert. Er tut das
nicht einfach zum Vergnügen. Das
muss für jeden Spieler ein Alarmzeichen
sein. Wenn wir pro Spiel
70 000 Franken weniger als budgetiert
einnehmen, muss das die Mannschaft
ganz bestimmt interessieren.
Hat die Mannschaft schon einmal darüber
nachgedacht, als Zeichen auf die
miserablen letzten Wochen auf einen
Teil des Lohnes zu verzichten?
Seoane: Ich muss festhalten: Wir
haben Verträge, in denen die Leistungskomponente
berücksichtigt ist. Kein
Erfolg heisst auch für uns bereits, dass
wir weniger Geld kassieren.
Der FCL macht sich selber Mut und
Hoffnung auf bessere Zeiten. Glauben
Sie wirklich daran?
Seoane: Ja.
Warum?
Seoane: Weil wir in dieser Mannschaft
mehr Qualität haben, als der
aktuelle Tabellenrang zum Ausdruck
bringt.
Ist Roberto Morinini der richtige Mann,
um den FCL aus der Krise zu führen?
Seoane: Es geht nicht um den Trainer.
Fakt ist, dass wir Spieler in der Verantwortung
stehen. Die sportliche Situation
ist eine reine Katastrophe. Und es
ist nicht fünf vor zwölf, sondern fast
schon zwölf Uhr. Wer das nicht begreift,
dem kann ich nicht mehr helfen. Jetzt
sind nur noch Spieler gefragt, die alle
persönlichen Interessen beiseitelassen
und sich stattdessen vollumfänglich
den Zielen des Vereins unterordnen.