FCL20 hat geschrieben:viel zu teuer und habe gar kein bock drauf

100 mal lieber die spiele ausswärts dann in der meisterschaft schauen gehen...
20. Mai 2006, Neue Zürcher Zeitung
Rio de Janeiro, Stadt des Fussballs
Die temporäre Leichtigkeit des Seins
Fussball spielen die Menschen in Rio de Janeiro immer und überall. Aber es gibt auch keinen besseren und vielleicht auch keinen schöneren Ort, sie spielen zu sehen, als an der Copacabana. Joggt man in den frühen Morgenstunden dem berühmten Stadtrand entlang, kommt man aus dem Staunen kaum heraus. Ob die jungen Cariocas, wie sich Rios Bewohner selber nennen, nun dem Beach Soccer, einer Mischung aus Fuss- und Volleyball, nachgehen oder dem klassischen Fussball: Mit dem Ball und am Ball können sie alles. Man spürt eine temporäre Leichtigkeit des Seins, die so gar nichts mit der traurigen sozialen Lage vieler Einheimischer zu tun hat. Fussball wird als filigrane Kunst zelebriert und nicht als harte Arbeit verstanden. Sieht man den «begnadeten» Körpern bei ihrem Treiben im Sand eine Weile zu, wird man mit Zaubertricks und Kunststücken belohnt, die in Stadien der Alten Welt meist schmerzlich vermisst werden.
Es gibt, bei aller landschaftlichen Schönheit an den Stränden von Copacabana und Ipanema, aber auch die Kehrseite. So hört man die Cariocas zwar voller Stolz über die Natur schwärmen, aber handkehrum schimpfen sie über Verkehrsprobleme, Korruption und Kriminalität. Am Fuss des Corcovado bekommt die Postkartenidylle erste Risse. Hässliche Wohnblocks stehen neben Fabrikbauten mit Fensterhöhlen, moderne Hochhäuser erdrücken heruntergekommene Gebäude aus der Kolonialzeit, und über allem wabert eine Smogglocke.
Am bedrückendsten sind jedoch die von zwei grossen Banden beherrschten Armensiedlungen, die sich in Sichtweite der Strände an jeden Hügel hinaufziehen. In Rio wohnen die Reichen unten und die Armen oben. Von den mehr als 600 registrierten Favelas sind die meisten auf dem Stadtplan gar nicht erst eingezeichnet. Eine No-go- Gegend nicht nur für Touristen, sondern auch für die Polizei, wie die immer wieder stattfindenden Schiessereien beweisen. Manchmal ist die Polizei aber auch selber das Problem. Korruption und andere kriminelle Elemente innerhalb des Polizeiapparates sind auch unter der Präsidentschaft Lula da Silvas nicht ausgemerzt. Den Nährboden für diese Art der Kriminalität bilden aber die vielen obdach- und heimatlosen Strassenkinder.
Jorginho, Mitglied eines früheren Weltmeisterteams und ehemaliger FC-Bayern-Star, engagiert sich in dieser sozialen Problematik. Für ihn ist Fussball das Antidrogenprogramm. In dem Institut «Bola Pra Frente» - «mit dem Ball nach vorn» -, das Jorginho zusammen mit seinem Freund und früheren Mannschaftskollegen Bebeto im Jahr 2000 gegründet hat, versucht er sozial gefährdeten Jugendlichen eine selbstbestimmte Zukunft jenseits von Drogenkonsum und Kriminalität zu ermöglichen. Jorginho hat die Verhältnisse in den Armenvierteln als Kind am eigenen Leib erfahren. Er stammt selber aus der Favela Guadelupe im Norden von Rio, wo das Institut bewusst angesiedelt wurde. Etwa 700 Jugendliche haben jährlich die Chance, in der Schule kostenfrei und unter professioneller Anleitung verschiedene Ballsportarten, aber auch den Umgang mit Computern zu erlernen oder berufsvorbereitende Kurse zu besuchen. Bedingung für die Teilnahme an dem Projekt ist der regelmässige Schulbesuch. «Die Favela Guadelupe ein Stück weit verändert zu haben, die Kinder spielen, lesen und schreiben zu sehen, ist mein grösstes Glück», sagt Jorginho beim abendlichen Training, an dem wir europäischen Besucher uns wie fündig gewordene Talentspäher vorkommen.
Ganz Rio scheint eine einzige Nachwuchsmannschaft zu sein, aus deren unerschöpflichem Reservoir sich die brasilianischen und europäischen Vereine nach Belieben bedienen können. Doch der Weg von den Favelas zu den Spitzenvereinen ist weit. So gehören neben dem vorhandenen Talent auch eine Portion Glück oder Beziehungen dazu, um überhaupt in einem Profiklub vorspielen zu dürfen. Im Übrigen bringt die Hälfte der 18 000 brasilianischen Berufsfussballer gerade einmal umgerechnet 300 Euro monatlich nach Hause. Das sollte nicht vergessen, wer im Juni sich wieder am berauschenden Fussballspiel der Seleção erfreuen wird.
Roland Motz (Rio de Janeiro)
wer einmal dort war weiss, dass es ein verdammtes privileg ist, die selecao gegen unsere luzerner feierabendkicker spielen zu sehen..