Die Welt in Angst vor Deutschland?
In die Feiern der WM-Gastgeber mischen sich immer mehr aggressive Töne
Deutschland ergehe sich in einem karnevalistischen Patriotismus, hiess es vor kurzem. Inzwischen hat die vermeintlich harmlose Angelegenheit neue Facetten erhalten: Jene, die sich skeptisch äussern, werden mitunter genötigt, ihre Ablehnung nationalistischen Taumels zu rechtfertigen. Eine Aussage des deutschen Teammanagers irritiert zusätzlich.
sos. Berlin, 4. Juli
Niemand wollte diesen Satz hören, vielleicht wollte ihn auch niemand wirklich gehört haben, verständlich wäre es: «Die Welt hat wieder Angst vor uns.» Das sagte Oliver Bierhoff, der Manager der deutschen Nationalmannschaft. Bierhoff meinte vielleicht nur die deutsche Mannschaft. Doch so ein Satz kann irritieren. Er kann aber auch verängstigen, vor allem, wenn er von einem Deutschen kommt. Nun könnte man einwenden, es sei bloss Fussball, worum es hier geht. Aber so einfach stehen die Dinge nicht. Bierhoff verfügt über kein Format. Er trägt nicht jenes Pathos im Rucksack wie der Brasilianer Scolari, der sagt, dass «Fussball wie Krieg ist». Bierhoff würde so einen Satz vehement bestreiten. Obwohl er nur die Wahrheit ausdrückt.
Lagerdenken
Vielleicht muss man erst einmal fragen, wer dieser Oliver Bierhoff ist. Mittelstürmer war er in der AC Milan, jenem Klub, von wo aus Silvio «Forza Italia» Berlusconi das ganze Land mit dem System Milan kontaminierte. Bierhoff war ein brillanter Kopfballspieler. Nicht jedem bekommt das gut. Vor bald zwei Jahren unterschrieb er gemeinsam mit Jürgen Klinsmann seinen Vertrag im DFB. Die «Süddeutsche Zeitung» berichtete von einer «mondänen Lösung», was auch immer das sein soll. Bierhoff engagierte sich für die «Initiative Neue soziale Marktwirtschaft», eine Lobby-Truppe der Neoliberalen. Als er in Berlin einmal vor Studenten referierte, wurde er mit Plasticbällen beworfen. Und er ist ein Mann des Lagerdenkens. Gegenwärtig haben die Deutschen im Grunewald ihr Feldlager aufgeschlagen. Hier, wo sich Klinsmanns Jünger gesammelt haben, schwingt auch er das Zepter. Man muss dieses Hotel einmal gesehen haben. Es atmet den Geist einer längst vergangenen Epoche.
Der Feldzug geht weiter, am Dienstag stand das Spiel gegen Italien in Dortmund an. Dort hatte im Vorfeld des Halbfinals eine ziemlich misslungene Satire über den italienischen Mann als solchen mittelprächtigen Ärger ausgelöst. Der Italiener könne nur in einer «parasitären Lebensform» existieren, hiess es dort. Und wenn in Deutschland die Rede von Ungeziefer und Weltangst ist, dann darf man sich auch fragen: Wer hat an der Uhr gedreht?
Patriotismus zeigt ein anderes Gesicht
Es geht heiss her in Deutschland. Und der neuerliche Patriotismus, der in all seiner Lockerheit selbst von manchen Linken freudig begrüsst wurde, zeigt allmählich ein anderes Gesicht. Der Tübinger Soziologe Helmut Digel, Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF, veröffentlichte in der «Süddeutschen Zeitung» einen bemerkenswerten Text über den Besuch eines deutschen Vorrunden-Spiels in Berlin: «Plötzlich klingelte ein Mobiltelefon, ein junger Mann antwortete seinem Gesprächspartner und erzählte ihm, dass er sich vor dem 'Adolf-Hitler-Gedächtnis-Stadion' befinde. Ich bin irritiert, ja bestürzt. 'Steh auf, wenn du ein Deutscher bist', 'Sieg, Sieg, Sieg', grölt die Masse. Wenige Minuten vor dem Anpfiff ereignet sich in der Ostkurve des Olympiastadions etwas äusserst Eigenartiges. Über eine Länge von mehr als hundert Metern wird ein Tuch entrollt, darauf ist zu lesen: 'Auf des Adlers Schwingen werden wir den Sieg erringen. Und plötzlich wird die gesamte Tribüne zu einem lebenden Motiv, ein schwarzer Adler.» Digel stellt Fragen, die sich offenbar nur wenige in ihrem Überschwang zu fragen trauen: «Was bedeutet die Demonstration? Was ist angemessen in einem Stadion, das wie kein anderes in der Welt einem politischen Machtmissbrauch unterlag? Ist dies karnevalistischer Patriotismus, oder findet hier Verführung statt? Welch geistlose Irreführung bedient sich des schönen Fussballspiels?»
Im Fernsehen wurde der Adler nicht gezeigt, der Urheber des Aktes blieb im Dunkeln, der nichts anderes ist als jene «aggressive Gleichschaltung», wie sie der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit beobachtet hatte. Und mittendrin steht Bierhoff mit seinem törichten Satz. Vermutlich ist er einfach nur ein Mitläufer, ein Parvenü, der sieht, wo er bleibt. Manche wollten in ihm den sogenannten anderen Fussballprofi sehen, weil er fliessend Italienisch spricht und schönere Anzüge trägt als Oliver Kahn und Nationalspieler Uhren zusammenbauen lässt - weil er über einen Deal mit IWC verfügt. Transparency International nennt so etwas Korruption. Man muss es nicht so eng sehen, das ist keine grosse Sache. Doch in seiner Prinzipienlosigkeit verdeutlicht Bierhoff: Ich bin manipulierbar.
Schluss mit dem alten Krempel
Inzwischen lassen sich Millionen gern manipulieren. Es reicht schon aus, die Deutschen vor dem Match gegen Argentinien nicht als Favoriten zu wähnen, und der Ärger steht an. Ein deutscher Kollege war vor ein paar Tagen in Berlin deswegen in eine hitzige Diskussion verwickelt worden, und er hatte im weiteren Gesprächsverlauf den Fehler begangen, anzumerken, dass er den neuerlichen Nationalstolz nicht nur in Anbetracht der schwindenden Bedeutung von Nationalstaaten für einen blanken Anachronismus und nebenbei für nicht ganz ungefährlich hält.
Der Mann durfte sich zunächst einmal allerlei Gründe anhören, warum man auf Deutschland stolz sein könnte, und bekam noch serviert, dass doch irgendwann «Schluss» mit dem alten Krempel sein müsste. Das waren keine Argumente. Es waren Vorwürfe, und in jedem Satz schwang das Wort «Verräter» mit. Der Mitdiskutant war Akademiker, wie Bierhoff. Der Stolz des wackeren Deutschen entzündete sich übrigens nicht an gedanklichen Leistungen, von denen es noch immer reichlich in Deutschland gibt. Triebfeder war ihm wie so vielen die Bruderschaft vom Grunewald, deren Manager Oliver Bierhoff heisst.