Die Sackgasse in der Pyro-Frage
Die Zeit, in der TV-Kommentatoren Pyros als «tolle südländische Stimmung» feierten, ist lange vorbei. Heute sind sie für die Medien ein Beweis für die Gewaltbereitschaft der Fussballfans, der Einfachheit halber meist pauschal «Hooligans» genannt. Die Öffentlichkeit lechzt nach Repressionen, die Politiker nehmen diesen Steilpass gerne auf und entwickeln in Rekordzeit Aktionsprogramme und Vorstosspakete mit grösstenteils unsinnigen Punkten. Aber Hauptsache, es wird etwas gefordert, was ein Grossteil der Wahlberechtigten unterstützt. Egal, ob die Forderungen umsetzbar oder hilfreich sind. Dazu wird mit Heinrich Schifferle ein neuer Ligapräsident gewählt, der in seinem ersten Interview von sich gibt, dass er «nie in eine Fankurve gehen würde», weil es da zu gefährlich sei. In diesem Umfeld werden also Massnahmen gefordert, die per sofort greifen sollen.
Das kann nicht gut gehen. GC-Präsident Leutwiler fordert Spielabbruch bei Pyroeinsatz und sperrt nach den Vorfällen in Lausanne beim nächsten Heimspiel die Kurve. Beim FC Luzern werden Fahnen und Doppelhalter verboten, weil sich die Fans nicht ans Fackelverbot hielten. Weitere Entscheide in diese Richtung – etwa Kleidungsvorschriften – werden sicherlich noch folgen, denn sowohl Hooligan-Experte Dölf Brack wie auch Staatsanwalt Simon Burger loben solche Vorgehen. Die Pyrodiskussion verkam zu einem Machtkampf zwischen Fans und Vereinsführung. Zu einem der lächerlichen Art noch dazu.
Wenn sich einige nicht an die Spielregeln halten, wird kollektiv bestraft. Ganz wie bei Kleinkindern wird alles Spielzeug weggenommen, wenn einige Wenige weiterhin unartig sind. Den Fans, die sich zu Recht als integraler Bestandteil eines Vereins sehen, fühlen sich durch so eine Behandlung herabgewürdigt und kontern mit Provokationen, die wiederum eine härtere Gangart zur Folge haben werden. Erste Unterstützung für die Luzerner Kurvenfans gibt es nun von den Sitzplätzen. Schon 60 Saisonabo-Inhaber gaben ihre Sitzplatz-Karten zurück und wechselten aus Solidarität auf die billigeren Stehplätze (
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Schon die ersten Aktionen von Vereinsoberen haben gezeigt, dass solche Erziehungsmassnahmen eine Spirale lostreten, die nicht gesund ist für den Schweizer Fussball. Der Machtkampf vertieft den Graben zwischen Führungsetage und Fans zusehends. Eine Versöhnung ist nicht in Sicht, denn die Fans wollen die Kurve «als Freiraum behalten», auf die Selbstregulierung vertrauen und sich schon gar nicht durch Strafaktionen des eigenen Vereins vergraulen lassen.
Die Kommunikation mit den Fans gestaltet sich ohnehin schwierig. Anders als ein Verein hat die Kurve keinen Chef, nach dessen Pfeife alle tanzen. Da steht ein bunt gemischter Haufen von Tausenden von jungen Leuten, und der ist anscheinend nicht gewillt, des öffentlichen Geschreis wegen auf seine Traditionen zu verzichten. Der Vorschlag, Pyros kontrolliert abzubrennen, kommt nicht gut an. In Deutschland wurden kürzlich die Bestrebungen in diese Richtung auf Eis gelegt. Es scheint, als ginge der Reiz der Pyros verloren, wenn man kontrolliert und überwacht «Blödsinn» anstellen müsste, obwohl zumindest optisch der gleiche Effekt erzielt werden könnte.
Für mich haben Pyros wenig Faszinierendes. Ich schaue vor allem auf den Rasen, das Geschehen dort interessiert mich deutlich mehr. Als sogenannter Softcore-Fan bin ich an der Pyrodiskussion (zum Glück) nicht beteiligt. Und doch rege ich mich derzeit über alle Beteiligten auf. Medien, die Pyroabbrenner kurzerhand zu Hochkriminellen machen und die Situation so darstellen, als wäre das Stadion ein rechtsfreier Raum, in dem Fackelwerfer und ähnliche Delinquenten straffrei davonkommen; SFL-Obere, die die Kurve als lebensgefährlich einstufen; Politiker und Experten, die Denunziantentum und ein Kaskaden-System fordern, bei dem nach jeder Verfehlung härtere Massnahmen greifen; und nicht zuletzt auch einzelne Mitglieder der Kurven, die in der aufgeheizten Stimmung noch Öl ins Feuer giessen, und in diesem Machtkampf keinen Millimeter von ihren Vorstellungen abweichen und sich als die einzigen wahren Fussballfans sehen. Bei derart verhärteten Fronten ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die Tribünengänger mitbestraft werden, sei dies durch bussenbedingte Erhöhungen der Ticketpreise und/oder massive Eingangskontrollen.
Nein, auch ich habe keine patente Lösung parat. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich eine finden würde, wenn sich die Parteien nicht so gebären würden. Vereinspräsidenten, die Fans sind euer Kapital und sie lieben euren Klub! Mit unsinnigen Drohungen und Bestrafungen löst ihr das Problem nicht, ihr erntet lediglich weitere Provokationen und Proteste. Und von den Fans würde wohl nur schon als Zeichen des guten Willens ein zeitweiliger Verzicht auf Pyro genügen, damit die Wogen geglättet und die Diskussion auch wirklich zu einer wird. Das ist mein Wunsch für 2012. Damit wieder über Fussball berichtet wird, und die Stadien wieder als Sportstätten, nicht als lebensbedrohliche Zonen wahrgenommen werden.